Alle Rache Will Ewigkeit
Gitarren, ein Keyboard stand auf einem langen Schreibtisch neben einer Reihe von Computerzubehör, und ein Aufgebot von Mikrofonen und Notenständern nahm eine Ecke ein. Das einzige Zugeständnis an eine herkömmliche Wohnzimmereinrichtung war eine weiche Ledercouch gegenüber dem Fenster.
»Ganz typisch für dich«, sagte Charlie, während sie sich umschaute.
»Man braucht kein Psychologe zu sein, um herauszufinden, dass mir Musik wichtig ist«, sagte Nick mit einem sarkastischen Zucken seines Mundes. »Ich hol uns ’n Glas Wein.«
Charlie sah ihn in einer schmalen kleinen Küche verschwinden. Er sah gut aus, dachte sie. Als sie ihn kennengelernt hatte, hatte er einem streunenden Kater geglichen; mager, verwildert, dynamisch und gutaussehend im Stil eines Piraten. Seitdem hatte er etwas zugenommen, Muskeln aufgebaut und auf seine drahtige Figur gepackt, und er hatte gelernt, sich so zu geben, dass er die Pferde nicht scheu machte. Seine Jeans saß tief auf den schmalen Hüften, das Hemd war ungebügelt, seine Haare struppiger als bei ihrem letzten Treffen. Er sah jedenfalls nicht wie ein Polizist in seiner Freizeit aus. Im Beruf war das eine seiner Stärken. Er kam mit einer Flasche kräftigem Rotwein und zwei Gläsern zurück und warf ihr sein vertrautes augenzwinkerndes Lächeln zu, wobei sich um die Winkel seiner braunen Augen herum kleine Fältchen bildeten.
»Du siehst gut aus«, lobte sie.
»Das täuscht. Ich brauche Urlaub. Bin ständig müde.« Er setzte sich auf die Kante eines hohen Holzhockers, goss Wein ein und reichte Charlie ein Glas. »Prost.«
Er beugte sich vor, um anzustoßen, und sie fing einen Hauch seines Körpergeruchs auf – eine schwache, würzige Moschusnote, verdeckt von dem intensiven Zitrusaroma seines Shampoos.
»Zu viel Arbeit oder zu viel Spaß?«
Er lachte leise. »Zu viel Spaß.« Mit dem Daumen wies er auf die Gitarren. »Je mehr Mist ich bei der Arbeit zu sehen bekomme, desto mehr will ich mich in die Musik versenken. Aber reden wir doch nicht von mir.« Er schüttelte den Kopf. »Sind die alle übergeschnappt, oder was? Die beste Profilerin und Analytikerin in der Branche abzusägen! Ich kann kaum glauben, was dir passiert ist.«
»Das solltest du aber. Du bist doch schon lange genug dabei.«
»Was kann ich tun, um zu helfen? Deshalb bist du doch hier, oder? Weil du Hilfe brauchst?«
Sein Eifer gab ihr wie kaum etwas anderes seit dem zweiten Prozess gegen Bill Hopton das Gefühl, geschätzt zu werden. »Ich wünschte, meine beruflichen Probleme wären so einfach, dass du mir helfen könntest«, sagte sie. »Der Grund, weshalb ich hier bin, ist ein ganz anderer.«
Nicks Blick wurde wachsam. »Du bist zu mir als Cop gekommen, nicht als Freund?«
»Ich seh es gerne so, dass beide auf meiner Seite sind«, meinte Charlie. »Lass mich dir erzählen, in was ich da hineingeraten bin.«
Sie fasste den Auftrag, den Corinna ihr erteilt hatte, knapp zusammen und ließ außer ihrem Gespräch mit Lisa Kent nichts aus. Das Thema Lisa gegenüber jemandem zu erwähnen, der so scharfsinnig war wie Nick, war das Letzte, was sie wollte. »Maria möchte, dass ich die Sache übernehme«, schloss sie. »Sie meint, ich brauche eine Herausforderung, damit ich nicht durchdrehe. Aber ich habe weder das Fachkönnen noch die Zugangsmöglichkeiten dafür.«
Nick warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Das Können hast du schon«, sagte er. »Das steht außer Frage. Ich habe nie jemanden gesehen, der besser ist im Befragen. Aber du hast recht, der Zugang ist ein Problem.«
»Genau. Wenn ich mit Jess Edwards vorankommen will, brauche ich den Obduktionsbericht. Ich habe keine Befugnis, ihn mir anzuschauen. Aber du schon.«
Nick schüttelte den Kopf, und Charlie wurde plötzlich ganz starr. Sie hatte gedacht, sie könnte sich auf Nick verlassen, aber da hatte sie sich wohl geirrt. Es war ein harter Schlag. Aber als er sprach, kam nicht das, war sie erwartet hatte. »Du brauchst den Obduktionsbericht nicht.«
»Aber wie soll ich denn sonst weiterkommen?«
»Wenn irgendetwas von Wichtigkeit herausgekommen wäre, dann hätte sich das in der Presse niedergeschlagen. Ich vermute, dass es von Anfang an als Unfall aufgenommen wurde und bei der Kripo kaum Beachtung fand. Es wird nichts in den Polizeiberichten stehen, und es wird sich auch kein Polizist finden, dem sich der Fall so eingeprägt hat, dass er ihn jetzt noch im Gedächtnis hat. Der einzige Mensch, der vielleicht noch etwas dazu zu sagen
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