Alle Rache Will Ewigkeit
und meine Studenten zum Scheißebauen anstacheln wollten, aber ich war nicht sicher. Jetzt weiß ich es. Und ich werde es nicht dulden.«
»Sie drohen mir?« Es amüsierte ihn, aber er war auch empört. Für wen, zum Teufel, hielt sich diese fette Kuh eigentlich? Oder vielmehr, wieso kapierte sie nicht, wer er war und was er war?
Charlie zuckte mit den Schultern. »Es ist keine Drohung. Sondern eine Warnung. Sie sind ein sehr gescheiter junger Mann. Der Essay, den Sie mir letzte Woche abgegeben haben, war offensichtlich in letzter Minute hingeschmiert. Wahrscheinlich waren Sie auf Kokain. Offenbar hatten Sie die meiste Literatur nicht gelesen. Aber es war trotzdem eine der besten Arbeiten, die ich je von einem Studenten im ersten Trimester gelesen habe. Ich sehe es so, dass Sie zwei Optionen haben.« Sie hielt die Hände zur Seite, so als wäge sie tatsächlich seine Möglichkeiten gegeneinander ab. »Sie können so weitermachen wie bisher. Sich ein kriminelles Imperium aufbauen. Nachts nie schlafen aus Angst vor Verrat und Knast oder Schlimmerem. Oder Sie können tatsächlich Ihr Potenzial nutzen. Arbeiten. Zeigen, wie gut Sie wirklich sind. Nachts ruhig schlafen.«
In mancher Hinsicht war es eine ziemlich einfallslose Tour gewesen, die zu seiner Bekehrung führte. Was Charlie nicht hatte wissen können, war, dass Nick damals unter großem Druck stand. Von Seiten seiner Familie, den Dealern über ihm, der Polizei, die sich bemühte, hart dagegen vorzugehen, dass Kids mit Drogen beliefert wurden, die sogar noch zu jung waren, um abends in Clubs zu gehen. Bis dahin war er noch nicht in die Schusslinie geraten. Aber er hatte begriffen, was Charlie meinte. Dass es nicht so bleiben würde. Irgendwann würde man ihn sich vorknöpfen, und dann würde es keine zwei Optionen mehr geben. »Und so werden wie Sie?«, war die einzige Entgegnung, die ihm damals eingefallen war. Schon als er es sagte, hatte er gewusst, wie schwach das klang.
»Ich werde Ihnen helfen«, hatte Charlie erwidert.
Und das hatte sie getan. Innerhalb von drei Jahren hatte er seinem Leben eine neue Richtung gegeben. Bis er so weit war, sein Examen zu machen, war er sogar völlig drogenfrei. Er studierte und machte Musik. Für anderes hatte er gar keine Zeit.
Er hatte auch herausbekommen, wieso Charlie sich so darüber amüsiert hatte, als er ihr drohte, sie wegen sexueller Belästigung anzuschwärzen. Jetzt trieb es ihm die Schamesröte ins Gesicht, wenn er daran dachte, was für ein ahnungsloser Idiot er damals gewesen war.
Als er seinen neuen Song zum ersten Mal durchspielen wollte, blinkte mittendrin ihr Name auf seinem Telefondisplay. Er hörte auf zu spielen und nahm ab. »Charlie«, sagte er.
»Hi, Nick. Geht es? Kannst du sprechen?«
»Hab heute frei«, antwortete er. »Ich hab mich schon gefragt, wie sich das anfühlt.«
»Tut mir leid. Ich kann morgen anrufen, wenn das besser ist.«
»Nein, Charlie. Ich rede immer gern mit dir. Wie kommst du klar? Wie steht’s?«
»Na ja, ist ’n bisschen verzwickt.«
»Aber nichts mit Maria, oder? Ihr geht’s gut, nicht wahr?«
»Ja, alles in Ordnung mit ihr. Nur … Na ja, ich stecke da in einer Sache drin, da könnte ich Hilfe brauchen. Aber ich will es nicht am Telefon besprechen. Kann ich dich zum Essen einladen?«
Nick schaute auf die Uhr. Es war noch nicht zwei. »Heute Abend kann ich nicht«, sagte er. »Einer von meinen Freunden hat ein Studio gebucht, und ich hab versprochen, ihn auf der Gitarre zu begleiten. Bist du jetzt in London?«
»Nein, ich bin in Oxford.«
»Pass auf, ich hab’s ja nur zehn Minuten zu Fuß zum Paddington Bahnhof. Hast du heute Nachmittag Zeit? Kannst du einen Zug nehmen? Du könntest bis vier hier sein. Ich muss erst um sechs weg. Würde dir das helfen?«
Charlie fand, dass die neuen Wohnungen in Paddington Basin von einem Extrem zum anderen reichten. Man hatte entweder eine großartige Aussicht über Londons Dächer, oder man hatte einen einzigartigen Blick auf die Westway Stadtautobahn mit ihren Stützpfeilern und dem endlosen Verkehrsstrom. Während sie auf den Aufzug wartete, schloss sie eine Wette mit sich selbst ab. Zwei Minuten später konnte sie sich beglückwünschen, denn sie hatte recht gehabt. Nick hatte sich nicht für eine glamouröse Adresse mit einer miesen Aussicht entschlossen. Der Blick durch die Glaswand, die eine Seite seines Wohnzimmers einnahm, war atemberaubend. Der Raum selbst war der Musik vorbehalten. An einer Wand hingen
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