Alle Singen Im Chor
das permanente Chaos der Kriminalität zu ertragen. Das Jurastudium war eine Flucht gewesen, die verzweifelte Suche nach Vernunft innerhalb des Systems, in dem ich gearbeitet hatte.
Und nun war ich also wieder am Ausgangspunkt angelangt, bei der Polizei. Ich erinnerte mich an das, was mein Chef am Morgen gesagt hatte: Wenn ich wollte, könne mein Vertrag über den September hinaus verlängert werden. Saarinen, der Kollege, dessen Vertretung ich übernommen hatte, war wegen schwerer Rückenschmerzen krankgeschrieben. Rane behauptete, es handle sich um ein psychosomatisches Leiden: Saarinen sei völlig erschöpft, habe es satt, Kinnunens Alkoholprobleme vertuschen und seine Fehler ausbügeln zu müssen, und versuche deshalb, die Rückkehr an den Arbeitsplatz so lange wie möglich vor sich herzuschieben.
In mancherlei Hinsicht war die Vertretung eine bequeme Lösung. Mein Interesse für das Studium war immer noch nicht zurückgekehrt, andererseits wollte ich nicht noch einmal das Fach wechseln. Mein Bafög hatte ohnehin schon schwindelnde Höhen erreicht. Natürlich war es verrückt, das Studium hinzuschmeißen, schließlich brauchte ich nur noch die Abschlussarbeit zu schreiben und zwei größere Prüfungen abzulegen, aber mir fehlte jede Motivation.
Auf der Rückbank ging es jetzt um die jüngsten Patzer des Rauschgiftdezernats. Wenn die ungeduldigen Drogenfahnder mit ihren Verhaftungen noch eine Woche gewartet hätten, wäre ihnen ein großer Teil des Dealerrings in der Hauptstadtregion ins Netz gegangen. Nun hatten sie bloß ein paar kleine Haschischdealer erwischt, die über den Aufbau der Organisation praktisch nichts wussten.
Ich lächelte über die Witze der Kriminaltechniker. Zur Drogenfahndung hatte es mich nie gezogen. Die Arbeit dort wurde immer gefährlicher. In letzter Zeit hatten Rauschgift- und Gewaltdezernat häufig zusammengearbeitet, da es bei vielen Tötungsdelikten um Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Dealerbanden ging. Es war längst nicht mehr so wie zu der Zeit, als ich die Polizeischule besuchte – damals hatte das Rauschgiftdezernat noch genügend Ressourcen, um sogar gelegentliche Haschischkonsumenten festzunehmen und zu verhören.
Jetzt blitzte am Straßenrand zum ersten Mal das Meer auf. Auf dem mit Rainfarn überwachsenen Feld neben der Straße setzte eine Katze einem Vogel nach. Ich drehte das Fenster herunter.
Die Villa der Peltonens wirkte so idyllisch wie am Tag zuvor. Der Mann von der Schutzpolizei, der zur Überwachung abgestellt war, saß mit nacktem Oberkörper Zeitung lesend auf dem Rasen und sah uns verdutzt an. Es wurmte ihn ganz offensichtlich, als ich ihm sagte, eine Bewachung sei wohl nicht mehr nötig.
«Warst du hier, als die Peltonens angekommen sind?»
«Ja, war ich. Kurz vorher war einer von diesen Chorleuten aufgetaucht. Du hattest ihm angeblich erlaubt, seine Katze zu holen. Der hat’s dann den Eltern erzählt. Die Frau hat einen furchtbaren Anfall gekriegt und gar nicht mehr aufgehört zu schreien, bis ihr der Mann irgendwelche Beruhigungsmittel in den Mund gestopft hat. Zum Glück sind sie dann bald aufgebrochen und haben den anderen Burschen mitsamt seiner Katze mitgenommen. Hast du übrigens schon gehört, dass die Technik da unten am Steg ein bisschen Blut gefunden hat? Sie haben es ins Labor geschickt. Vielleicht ist es von dem Ermordeten. Oder es ist von der Axt getropft.»
«Aha, schön.» Ich wandte das Gesicht ab, bei dem Gedanken an eine bluttriefende Axt und an Jukkas zerquetschten, rot beschmierten Schädel drehte sich mir der Magen um.
Ich ging zur Sauna am Ufer, weil ich hoffte, am Fundort der Axt etwas Neues zu lernen. Das zehn Meter lange Segelboot der Peltonens ankerte an einer Boje. Geld hatte die Familie wahrhaftig genug. Die Villa in Vuosaari, eine Wohnung in Westend. Soweit ich mich erinnerte, besaßen sie außerdem noch ein Blockhaus in Lappland. Jedenfalls war Jaana ein paar Mal mit Jukka irgendwo da oben zum Skilaufen gewesen. Ein Gesprächsfetzen kam mir in den Sinn, seltsam, dass ich mich nach all den Jahren noch so genau daran erinnerte:
«Manchmal geht mir der verdammte Kerl auf den Keks, der ist doch mit ’nem silbernen Löffel im Mund auf die Welt gekommen», hatte Jaana nach einem Streit mit Jukka wütend geschnaubt. «Er ist es einfach gewöhnt, zu kriegen, was er will. Ich halt das nicht mehr aus. Wenn er mit einer anderen schlafen will, dann tut er’s und schert sich einen Dreck darum, wie ich mich fühle.
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