Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
Vom Netzwerk:
tragenden Kräfte ein Mörder … Kannst du es nicht so hinbiegen, dass Jukka sich das Loch im Kopf selbst beigebracht hat?»
    «Du hast große Angst, dass sich eine ganz bestimmte Person als Täter entpuppt, nicht wahr? Oder als Täterin. Wer ist es denn?»
    «Das musst du schon selbst herausfinden, du Meisterdetektivin. Die Beerdigung ist wahrscheinlich in zwei Wochen. Sieh zu, dass du vorher keinen verhaftest, der Kerntrupp soll da nämlich singen.» Antti vergrub das Gesicht in den Händen. Dann schüttelte er sich, als wollte er die dunklen Gedanken vertreiben. «Für Maisa … für Jukkas Mutter ist es das Beste, wenn Jukka möglichst bald beerdigt wird. Sie ist seelisch nicht ganz stabil, und ich fürchte, sie zerbricht an dieser Geschichte endgültig. Für sie ist das alles besonders schlimm.»
    Seit ich in den Polizeidienst zurückgekehrt war, hatte ich ein knappes Dutzend Tötungsdelikte bearbeitet, alles Totschlag im Affekt. Jeder einzelne Fall war für einige Menschen eine schlimme Sache, nicht nur für das Opfer und den Täter, sondern auch für ihre Angehörigen, die von Unsicherheit, Selbstvorwürfen, Angst und Zweifel geplagt wurden. Auch mir hatte das immer wehgetan, obwohl ich mich bemühte, kühl und distanziert zu bleiben. Jetzt fühlte ich mich noch schlechter. Ich wünschte, ich hätte einen Schalter im Kopf, mit dem ich alle Gefühle abstellen konnte, damit nur noch der mechanisch ermittelnde Verstand übrig blieb.
    «Nochmal zu der Axt … Wo hast du sie gelassen, nachdem du den Fisch geschlachtet hattest?»
    «Ich hab die gröbsten Schuppen von der Klinge abgespült, und dann hab ich sie wohl am rechten Rand vom Steg liegen gelassen. Da lag sie dann ja gleich parat, verdammt nochmal! Wenn ich sie zur Sauna zurückgebracht hätte …»
    «Zerbrich dir darüber nicht den Kopf!» Der freundliche Tonfall, den ich anschlagen wollte, misslang mir gründlich, es klang eher wie ein Befehl. Ich murmelte etwas von Eile und schickte Antti weg. Ich hatte es wirklich eilig, denn am Tatort war noch vieles zu überprüfen. Aber eins schien mir klar: Es handelte sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um Totschlag, sondern um Mord. Jedes der Chormitglieder konnte gewusst haben, dass die Axt am Bootssteg liegen geblieben war, und Jukka dorthin gelockt haben. Aber falls Mirja und Antti unschuldig waren, fehlten die Fingerabdrücke des Täters. Er war also darauf bedacht gewesen, keine zu hinterlassen. Und wer einen Mord beging, hatte vielleicht auch schon vorher geplant, wie er die Polizei in die Irre führen würde.
     

 
     
     
     
Vier
     
     
    Und Wandern über trügerisches Gelände
     
    Am frühen Nachmittag herrschte auf dem Ostring überraschend wenig Verkehr. Ich fuhr unseren Dienstwagen, einen schmutzig grauen Lada, während sich die Jungs von der Technik über die Rücklehne hinweg Geschichten erzählten. Es war mir gelungen, sie loszueisen, in der Hoffnung, nach diesem Besuch am Tatort die Villa der Peltonens freigeben zu können.
    Auf der Brücke vor Vuosaari war eine Kontrolle. Ich hatte erheblich mehr auf dem Tacho als die erlaubten sechzig Stundenkilometer, aber ich zog in aller Gemütsruhe an den kindlich wirkenden Verkehrspolizisten vorbei. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit ich selbst diese Arbeit getan hatte. Als wäre ich vor sechs Jahren ein anderer Mensch gewesen.
    Im Gewaltdezernat tat ich mich insofern leichter, als mir die Arbeit im Allgemeinen keine moralischen Probleme bereitete. Leute zu jagen, die andere misshandelten oder töteten, war immerhin irgendwie sinnvoll. Bei der Ordnungspolizei war ich mir geradezu kleinlich vorgekommen, wenn ich hinter Radarfallen saß, Betrunkene verhaftete oder Bußgelder von braven Tanten kassierte, die ohne Licht Fahrrad fuhren.
    Dann war ich auf eigenen Wunsch zur Sitte versetzt worden. Ich hatte mir eingebildet, dort könnte ich die Welt verbessern und Dutzenden von Menschen zu einem besseren Leben verhelfen, aber das einzige Ergebnis meiner Arbeit war die Einsicht, völlig machtlos zu sein. Der gute Wille einer einzigen Frau reichte nicht aus, um verkorksten Heimkindern, Suchtkranken, minderjährigen Prostituierten und geprügelten Kindern zu helfen. Ich hatte mir in der Schulzeit ausgemalt, eines Tages eine Art Mutter Teresa im Polizeidienst zu werden, aber nun konnte ich absolut nichts ausrichten. Ich reagierte übertrieben heftig auf alles, was um mich herum geschah, und begriff erst später, dass ich viel zu jung gewesen war, um

Weitere Kostenlose Bücher