Alle Singen Im Chor
angehört?»
«Woher soll ich das denn wissen? Ich erinnere mich doch nicht, wann jeder Einzelne im Chor angefangen hat. Jukka war allerdings schon lange dabei, sicher an die zehn Jahre.»
«Ist der IOL nicht ein Studentenchor? Jukka hatte das Studium doch schon abgeschlossen und war auch sonst schon ein bisschen überjährig?»
«Studentenchor ist ein dehnbarer Begriff. Gute Sänger behält man natürlich gern etwas länger. Und Jukka schien sich im Chor wohl zu fühlen …» Toivonen lächelte anzüglich. «Wahrscheinlich hat es ihm gefallen, dass jedes Jahr neue junge Mädchen dazukommen.»
«Jukka war also bei den weiblichen Chormitgliedern beliebt?», fragte ich, als hörte ich davon zum ersten Mal.
«Jukka hatte so viele Mädchen, dass er anderen davon abgeben konnte.» Wieder flog ein Lächeln über sein Gesicht, verschwand aber gleich wieder. Vielleicht fand er es unschicklich, in leichtem Ton über einen Toten zu reden.
«Anderen davon abgeben? Wie soll ich das verstehen?»
Toivonen stopfte geniert das Hemd in den Hosenbund und war zu keinen weiteren Erklärungen mehr bereit. Als ich fragte, ob ich während der Probe einzeln mit den Chormitgliedern sprechen könne, wurde er plötzlich grantig.
«Das ist unsere letzte Probe vor der Beerdigung, und der Chor ist ziemlich aus der Übung.»
Ich musste ihn noch einmal daran erinnern, dass es um einen Mordfall ging, bevor er seine Zustimmung gab. Dann warf er einen Blick auf seine Uhr und erklärte, die Pause habe schon viel zu lange gedauert.
Die Chormitglieder hatten sich in kleinen Grüppchen über alle Räume verteilt. Ich hatte den Eindruck, als würden diejenigen, die in Vuosaari gewesen waren, von den anderen gemieden. Nur Jyri unterhielt sich im Raucherzimmer mit einer Altistin. Auf dem Sofa im Flur saß Sirkku, eng an Timo gepresst, und starrte mich ängstlich an.
Als Toivonen die Pause für beendet erklärte, kletterte Timo auf das Podest. Er wartete vergeblich darauf, dass das Stimmengewirr verebbte, und rief schließlich entnervt:
«Nun hört doch mal zu! Also, der Zeitplan für nächsten Samstag: Die Beerdigungsfeier ist um zwei Uhr in der Felsenkirche. Wir treffen uns um eins, damit wir Zeit haben, uns einzusingen und das Programm noch einmal durchzugehen.»
«Welche Kirchenlieder werden gesungen?», fragte Mirja.
«Das wissen sie noch nicht», mischte sich Toivonen ein. «Herr Peltonen wird mich deswegen morgen anrufen, ich telefoniere dann mit Timo, und er kann es euch weitersagen. Es wäre gut, wenn ihr euch die Lieder vorher anschaut.»
«Nach der Beerdigung gibt es eine kurze Gedenkfeier im Restaurant ‹Laulumiehet›», fuhr Timo fort. «Wir sind gebeten worden, dort auch ein oder zwei Lieder zu singen. Wir nehmen Bachs ‹Wenn ich einmal soll scheiden› und ‹Land des Friedens› von Genetz. Noch Fragen?»
«Was sollen wir anziehen?», wollte Piia wissen.
«Saubere Zivilkleidung, also nicht das Chorgewand», antwortete Timo.
«Zieht das an, was ihr auch sonst zur Beerdigung eures Freundes tragen würdet», ergänzte Toivonen. «Für die Männer heißt das wohl dunkler Anzug.»
«Die Frauen also nicht in geblümten Kleidern und nicht zu stark geschminkt», sagte Mirja streng.
«Willst du noch was sagen?», wandte sich Timo an mich und stieg vom Podest, wie um mir Platz zu machen. Ich sprang hinauf und war versucht, mit den Armen zu fuchteln wie Toivonen. Mühsam unterdrückte ich den Impuls.
«Guten Abend. Ich bin Hauptmeister Maria Kallio vom Gewaltdezernat der Kriminalpolizei Helsinki. Ich untersuche den Tod von Jukka Peltonen. Wenn jemand von Ihnen etwas weiß, was Licht auf die Sache werfen kann, bitte ich Sie, es mir heute Abend zu sagen. Ich gehe jetzt ins Raucherzimmer und möchte, dass Sie einer nach dem anderen dort hinkommen.»
«Auch die, mit denen du schon gesprochen hast?», fragte Mirja angriffslustig.
«Nein, es sei denn, sie hätten etwas Neues auszusagen oder ich würde sie ausdrücklich zu mir bitten. Hier an der Tafel steht eine Telefonnummer, unter der ich zu erreichen bin, falls Ihnen später noch was einfällt.» Ich hüpfte vom Podest und bedeutete der kleinen Altistin, die neben Mirja saß, mitzukommen. Die Frage, ob sie auf dem linken Ohr noch richtig hörte, brannte mir auf der Zunge, aber ich zügelte mich.
Leider erbrachte die Befragung der Chormitglieder nichts Überwältigendes. Antti, Tuulia, Jyri und Piia schienen diejenigen zu sein, die Jukka am besten gekannt hatten. Ein paar Frauen
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