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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Jukkas Mutter hatte der Hausarzt der Familie bis auf weiteres untersagt. Gegebenenfalls konnte ich trotzdem ein Gespräch erzwingen, aber ich wollte die Frau nicht unter Druck setzen.
    In Jukkas Auto war nichts Interessantes gefunden worden. Es gab zahlreiche Fingerabdrücke, von denen einige nicht identifiziert werden konnten, aber keine, die wir in unserer Kartei hatten. Vielleicht waren Abdrücke von dem geheimnisvollen ÄM darunter, womöglich handelte es sich aber auch um ein ganz anderes Auto. Keine Blutspuren, keine Geheimverstecke. Von mir aus konnte der Wagen den Peltonens ausgehändigt werden.
    Obwohl es für die Ermittlungen nicht unbedingt erforderlich war, wollte ich an Jukkas Beerdigung teilnehmen. Ich ging zu Fuß von meiner Wohnung zur Felsenkirche. Mein altes schwarzes Kleid spannte an den Schultern. Ich hatte es zur Abiturfeier bekommen, und damals trieb ich noch kein Bodybuilding. Die schwarze Strumpfhose verdeckte die Härchen an meinen Beinen. Blumen hatte ich nicht gekauft, denn Jukka brauchte keine mehr, und die Lebenden würden es missbilligen, wenn eine Polizistin mit Blumen ankam. Außerdem wollte ich mich auf die anderen konzentrieren, die ihr Gebinde am Sarg niederlegen würden; vielleicht waren Tiina, Merike und der Mann namens ÄM unter ihnen. Zur Gedenkfeier wollte ich nicht mitgehen.
    Der Himmel war bewölkt und sah nach Regen aus. Das passende Beerdigungswetter. Es lag kein Gewitter in der Luft, nur ergebenes, geradezu durstiges Warten auf den Regen. Das Kreuzkraut, das am Sockel eines Hauses ans Licht drängte, sah jedenfalls so aus, als ob es sich nach den langen trockenen Wochen nach Feuchtigkeit sehnte.
    Unauffällig schlüpfte ich auf einen Eckplatz auf der Empore. Ich überlegte, wann ich zuletzt in einer Kirche gewesen war, und erinnerte mich an die Hochzeit meiner Freundin Annika im letzten Winter. Kirchen waren mir fremd. Ich wusste nicht, wie ich mich dort verhalten sollte, kam mir unbeholfen und laut vor, und die Worte der Pfarrer sagten mir nichts. Ich dachte selten über religiöse Dinge nach, meistens hatte ich dazu einfach keine Lust. Jetzt überlegte ich, wohin Jukka eigentlich gegangen war. Auf dem Präsidium lief das Gerücht um, vor zwanzig Jahren hätte einer der erfolgreichsten Ermittler unseres Dezernats regelmäßig einen Spiritisten aufgesucht, wenn er ein Tötungsdelikt aufzuklären hatte. Angeblich hatte das gut funktioniert. Es fiel mir schwer, an dergleichen Dinge zu glauben, aber was wusste ich schon. Möglich war alles – vielleicht war Jukka jetzt an dem Ort, den die Gläubigen Himmel nennen. Oder gehörte er eher in die Hölle?
    Vielleicht hatte jeder seinen eigenen Himmel. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Jukka sich mit wohlgeformten weiblichen Engeln vergnügte. Ein ungehöriger Gedanke in einer Kirche – hoffentlich hatte niemand gesehen, dass ich stillvergnügt lächelte, und das auf einer Beerdigung! Vielleicht hatte Jukka einfach aufgehört zu existieren. Ganz und gar. Die düsteren Töne in Anttis Brief kamen mir in den Sinn. Nach Anttis Ansicht gab es Jukka nicht mehr, in keiner Form. Nach dem Tod war nur schwarze Endgültigkeit.
    Ich blickte von der Empore herunter. Es waren nicht besonders viele Menschen in der Kirche. Die Chormitglieder saßen bereits auf ihren Plätzen vor den Angehörigen, ich konnte ihnen geradewegs ins Gesicht sehen. Vor dem Altar stand ein schlichter Eichensarg. Er würde bald mit Jukka verbrennen. Heikki Peltonen saß in der ersten Bank, die schwarz verschleierte, zusammengesunkene Frau neben ihm war sicher Jukkas Mutter. Wie viele Beruhigungsmittel hatte man Frau Peltonen wohl vor der Trauerfeier eingeflößt?
    Alle meine Verdächtigen waren anwesend. Piia und Tuulia saßen am rechten Rand der Sopranreihe. Piia, die jetzt schon gerötete Augen hatte, trug ein elegantes schwarzes Kleid aus einem Stoff, der für eine Beerdigung fast zu fein war. Tuulias enges schwarzes Trikotkleid ließ ihre Haare und ihr Gesicht beinah weiß erscheinen. Sirkku saß mit gesenktem Kopf auf ihrem Stuhl und hielt den hinter ihr sitzenden Timo an der Hand. Mirja dagegen betrachtete die Trauergemeinde, und als ihr Blick auf mich fiel, sprühten ihre Augen vor Hass.
    Die Männer saßen in der hinteren Reihe, Jyri war so klein, dass er fast hinter den Altsängerinnen verschwand. Antti saß ganz am Rand, sein Kopf ragte über die anderen empor. Die Hosenbeine seines schwarzen Sonntagsanzugs waren zu kurz, über den schwarzen Socken war ein

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