Alle Sorgen sind vergessen
sie über den Flur und ins Schlafzimmer. „Ich schlage vor, du ruhst dich aus, während ich das Gepäck auslade.“
„Aber ich habe doch gerade geschlafen“, protestierte sie. „Das war unhöflich von mir, ich weiß. Aber im Moment fällt es mir schwer, lange wach zu bleiben.“
„Du hast eine anstrengende Woche hinter dir – und allen Grund, müde zu sein.“
„Das ist nett von dir.“
Er zog eine Augenbraue hoch und lächelte. „Ich habe einen Hintergedanken.“
„Wirklich?“ Allisons Herz schlug schneller. „Welchen?“
„Ich bin ein miserabler Koch. Wenn du ausgeruht bist, hilfst du mir vielleicht, das Essen zu machen.“
Sie lachte. „Ich glaube, das schaffe ich gerade noch.“
„Gut.“ Er setzte sie neben dem Bett ab und schlug die Decke zurück. Dann sah er sie an. „Brauchst du Unterstützung beim Ausziehen?“
„Nein, danke.“ Sie fühlte, wie ihr warm wurde. „Das kann ich allein.“
„Natürlich. Aber das wollte ich nicht wissen.“ Er küsste sie auf den Mund. „Wir machen später weiter. Schlaf gut, mein Engel.“
Bevor Allison etwas erwidern konnte, hatte er die Tür schon leise hinter sich geschlossen. Sie wusste nicht, ob sie froh darüber sein sollte, dass er sie nicht bedrängt hatte. Dass sie sich so sehr nach seiner Berührung sehnte, erstaunte sie immer wieder. Seit jenem Abend, an dem sie siebzehn gewesen und mit ihren Eltern auf die Party nach der Filmpreisverleihung gegangen war, hatte sie jeden näheren Kontakt mit Männern gemieden.
Ein junger Schauspieler, von dem sie seit Monaten geschwärmt hatte, hatte erst mit ihr geflirtet und sie dann in ein leeres Zimmer gelockt, wo er mehr als nur einen Kuss von ihr wollte. Als sie ihn abwehrte, hatte er sie mit Gewalt dazu gezwungen.
Sie hatte ihren Eltern nie etwas davon erzählt. Anstatt sich jemandem anzuvertrauen und das Trauma im Gespräch zu verarbeiten, war sie seitdem Männern aus dem Weg gegangen und hatte ihre Reize stets unter konservativer Kleidung versteckt.
Bis zu dem Abend, an dem sie auf den Wohltätigkeitsball gegangen und Jorge begegnet war.
Wäre sie ihm auch ohne das verführerische Kleid, die elegante Frisur und das raffinierte Makeup aufgefallen? Hätte er sie auch begehrt, wenn sie ein strenges Kostüm getragen hätte?
Und warum hatte sie an diesem Abend ihre Ängste und Hemmungen ablegen können? Warum hatte Jorge in ihr nicht die Panik ausgelöst, die sie sonst überkam, wenn ein Mann sich ihr näherte?
Zu müde, um darüber nachzudenken, zog Allison sich aus und schlüpfte ins Bett.
Die Augen fielen ihr zu, und sie schlief sofort ein.
Mehrere Stunden später erwachte sie. Draußen war es dunkel geworden war. Sie ging ins angeschlossene Badezimmer.
Nachdem sie geduscht und frische Wäsche – Jeans und einen blauen Kaschmirpullover – angezogen hatte, bewunderte sie die an ihrem Finger funkelnden Brillanten. Noch immer konnte sie kaum fassen, dass Jorge ihr so wunderschöne und vermutlich sehr kostspielige Ringe gekauft hatte.
Eine halbe Stunde später betrat sie mit geföhntem Haar und erneuertem Makeup das von Lampen erhellte Wohnzimmer. Jorge war nirgends zu sehen, aber aus der Küche kam ein unbeschwertes Pfeifen.
Allison ging hinüber. Er stand am Herd, mit dem Rücken zu ihr. Aus dem CDPlayer, der in einem kleinen Eckregal stand, erklang sanfter Blues, und Jorges leises Pfeifen begleitete das Saxofon. Er trug alte Jeans und ein weißes TShirt.
Das schwarze Haar war feucht. Auch er musste geduscht haben.
Als er sich umdrehte und einen großen Löffel aus einer Schublade holte, bemerkte er Allison. Er lächelte sanft, und sie hielt unwillkürlich den Atem an.
„Hallo.“ Seine Stimme war tiefer und heiserer als sonst.
„Hallo“, erwiderte sie und spürte, wie die Glut in seinen Augen sie wärmte.
„Ich dachte schon, du schläfst durch bis morgen früh.“
„Wie spät ist es?“ Ihr Blick fiel auf die Uhr der Mikrowelle über dem Herd. „Schon nach acht? Das kann nicht sein.“
„Doch. Hast du gestern Nacht nicht geschlafen?“
„Ich bin erst nach elf zu Bett gegangen und habe mich nur herumgewälzt. Um fünf habe ich dann aufgegeben.“
„Lampenfieber? Oder hast du an deiner Entscheidung gezweifelt?“ fragte er.
Sie hätte ihn anlügen und Nein sagen können. „Ja“, gab sie freimütig zu. „Aber es war nicht nur die Heirat. Bisher habe ich mein Leben sehr sorgfältig geplant, und jetzt ging alles so schnell. Ich glaube, ich habe das alles noch gar nicht
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