Alle Toten fliegen hoch: Amerika
Haus. Ich sah Don hinter der Scheibe und winkte ihm. Maureen verabschiedete sich von Stan, der gerade die Rasensprenger umstellte, und setzte sich ins Auto: »Bye then!« »Bye!« »Take care, German!« Sie fuhr los, fuhr eine Runde um die Einfahrt herum, und hielt wieder direkt vor mir. Sie kurbelte das Fenster runter: »Hi.« »Hi.« »Missed you already.« Ich beugte mich zu ihr hinunter und küsste sie. Was war das nur? Warum waren ihre Küsse so einzigartig, so undeutsch? Stan hantierte betont abgelenkt mit seinen Sprengern herum. Ohne noch etwas zu sagen, drehte sie die Scheibe hoch und fuhr davon. Staub wirbelte auf, hüllte das Auto ein, und als er sich legte, war sie verschwunden.
Meine Sachen waren bereits alle gepackt und im Kofferraum verstaut. Hazel saß schon auf dem Beifahrersitz und wartete. Ich sah mich noch einmal im Zimmer um, ob ich nichts vergessen hatte, ging hinaus und zog die Tür zu. Stan klopfte an Dons Tür: »We are leaving!« Nichts. »Hey Don, we’re leaving right now!« Don rief: »Bye!« Zornig öffnete Stan die Tür, betrat das Zimmer und zog sie wieder hinter sich zu. Ich hörte ihn zischeln. Ich ging hinaus zu Hazel, lehnte mich an das Auto und wartete. Don kam, den Pudel auf dem Arm, der ihm das Kinn leckte. Er stellte sich vor mich und sagte: »I am ordered to say goodbye. Goodbye then!« Er drehte sich um und stolzierte zurück ins Haus. Sein kleiner wackelnder Hintern war das Letzte, was ich von ihm sah. Stan kam. Sichtlich verstimmt. Er sah mich an, schüttelte den Kopf. »Time to go!« Wir stiegen ein und fuhren davon.
Hätte mir jemand am Flughafen in Denver gesagt, dass ich nicht zurück nach Deutschland fliegen könne, denn es gäbe einen Streik, einen unabsehbaren, vielleicht einjährigen Streik, dann wäre ich glücklich zu Stan und Hazel ins Auto gestiegen und zurück nach Laramie gefahren. War das wirklich so? Oder war es nur deshalb ein verlockender Gedanke, weil ich mir sicher war, dass es nicht so kommen würde? Ich wollte dableiben und wollte weg. Ich dachte: »Why do I have to go right now? I really like Maureen. I like the view from my room over the Rocky Mountains. I have my own horse. I like Stan and Hazel. I found friends. How shall I live without basketball? God damned, why do I have to leave right now?«
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6. Kapitel
Als ich nach Deutschland zurückkam, wog ich zehn Kilo mehr, war durchtrainiert, und diesmal war die Heimkehr so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Meine Eltern und mein Bruder holten mich ab. Ich rannte, als ich sie sah, einfach los. Mein Vater war, das spürte ich sofort, als ich ihn an mich drückte, wieder genauso dick, wenn nicht noch dicker als früher. Meine Mutter war eindeutig geschrumpft. Mein Bruder umarmte mich, griff an meine Oberarme, drückte sie, sagte »Bitte, bitte tu mir nichts!« und umarmte mich wieder.
Auf dem Rückweg vom Hamburger Flughafen fuhr mein Bruder. Ich saß bequem auf dem Beifahrersitz. Mein Vater hatte sich neben meine Mutter nach hinten gezwängt. Wir kamen auf die Autobahn. Plötzlich roch es köstlich. Ich drehte mich um. Da saß mein Vater und schmierte mir ein frisches Schwarzbrot mit meiner Lieblingsleberwurst von Schmale, dem besten Schlachter unserer Stadt. In mehreren Briefen hatte ich von meinem Heißhunger auf Schwarzbrot mit Leberwurst geschrieben. Eigentlich hatte ich diesen Heißhunger gar nicht, aber ich wollte meinen Eltern eine Freude machen. Andauernd hatte ich von Dingen geschrieben, die ich vermissen würde, aber eigentlich gar nicht vermisste, über Entbehrungen, die keine waren. Mein Vater reichte mir das dick abgeschnittene Leberwurstschwarzbrot nach vorne. Ich biss hinein, machte »Mmmmmhhh! Ohhhh!« und schwärmte »Ist das lecker!«. Dabei taten mir die Zähne weh vom Kauen der ungemahlenen Körner und auch der Geschmack war mir zu intensiv. Die letzten zwölf Monate hatte ich mehr oder weniger alle Speisen gelutscht oder maximal ein wenig mit den Backenzähnen zerquetscht. So richtig gekaut hatte ich schon lange nicht mehr. Mein Gott, war das mühsam! Als ich dieses feuchte, verdichtete Schwarzbrot kaute, ahnte ich bereits, wie steinig der Weg werden würde, mich in mein altes Vollkornleben zurückzubeißen.
Nach zwei Stunden fuhren wir in die Stadt ein. Kreuzten den verschlafenen Gottorf-Knoten. Alles unverändert. Die Leuchtschrift des Dani-Grills war repariert. Ein neues G. Aber sonst? Mein Vater sagte: »Nach Hamburg hin und zurück an einem Tag, das ist wirklich
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