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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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seinem Bruder, der in einer Rudermaschine auf der Stelle um sein Leben kämpfte, war niemand da. Nachdem wir ein wenig über dies und das geplaudert hatten, bat ich ihn, mir zwei Flaschen Erdbeerschnaps beim sogenannten Liquorstore zu besorgen. Er war amüsiert: »Man, that’s really freaky! A seventeen year old girl that can’t fuck without strawberry schnaps!« Bevor ich gehen durfte, musste ich mich rücklings auf eine Bank legen und eine tonnenschwere Hantel von der Brust weg in die Höhe stemmen. Kaltenbach feuerte mich an, aber meine Arme begannen zu zittern, und er musste mir das Gewicht abnehmen. Von meiner Brieffreundschaft mit Randy Hart erzählte ich ihm nichts.
    Zusammen mit meinen Gasteltern machte ich jetzt, da ich an den Wochenenden wieder viel Zeit hatte, mehrere Ausflüge und eine große Reise. Wir besuchten Fort Laramie. Stan und Hazel waren tief ergriffen von den gerade mal hundert Jahre alten Ruinen. Den Devils Tower am Rande der Bear Lodge Mountains kannte ich schon aus dem Film »Unheimliche Begegnung der dritten Art«. Dort dient der Riesenfels einem Raumschiff als Landeplatz und Menschen formen durch übersinnliche Kräfte ferngesteuert den Berg beim Mittagessen aus Kartoffelbrei. Am Mount Rushmore hing ein Arbeiter in einem Trapez vor Jeffersons Gesicht und bohrte ihm mit einem Presslufthammer in der Nase. Und nicht weit davon entfernt, in den Black Hills: das Crazy-Horse-Memorial. Davon war ich tief beeindruckt. Ein einzelner Mann namens Korczak Ziolkowski arbeitete dort seit über vierzig Jahren an einer Monumentalskulptur zum Gedenken an die Indianer. Ein stolzer Häuptling sitzt mit freiem Oberkörper auf einem rassigen Wildpferd und zeigt mit ausgestrecktem Arm in die vor ihm liegende Landschaft. Als ich Crazy Horse besuchte, konnte man trotz der vierzig Jahre währenden permanenten Arbeit nicht viel erkennen. Mit weißer Farbe war auf den zerklüfteten Berg ein Pferdekopf gemalt. Später, so las ich ungläubig, sollten auf dem ausgestreckten Arm viertausend Menschen Platz finden können. Ziolkowskis Leitspruch stand über dem Eingang des Informationshüttchens: »You must work on the mountain, but go slowly – so you do it right.«
    Zum Ende des Highschooljahres schenkte mir die Basketballmannschaft einen von allen signierten echten Lederbasketball. Einige Spieler hatten unter ihre Namen kleine Anmerkungen wie »Forever friends!« oder »Go, German, Go!« geschrieben. Jerry warf ihn mir zu, wollte eine Rede halten, öffnete die Lippen, ließ es bleiben und umarmte mich.
    Matt, mein Assistent, kam zu mir und überreichte mir zum Abschied ein Fotoalbum. Er hatte mich, ohne dass ich davon etwas wusste, während meiner raren Momente auf dem Spielfeld fotografiert. Als ich das Album durchblätterte, sah es tatsächlich so aus, als wäre ich ein integraler und wichtiger Bestandteil der Laramie Plainsmen gewesen: ich an der Freiwurflinie, ich beim Sprungwurf, ich beim Korbleger, ich während einer Auszeit vornübergebeugt, Coach Carters Anweisungen empfangend. Und ich beim Jubeln! Ein erstaunliches Bild. Ich renne mit erhobenen Fäusten über das Spielfeld an der proppenvollen Tribüne vorbei, schreie mit gespanntem Bizeps, und die Cheerleader machen Salti durch die Luft. Auf der ersten Seite vom Abschiedsalbum stand: »You are my hero! Matt.«
    Mit Stan und Hazel fuhr ich nach Chicago. In einem Fahrstuhl rasten wir wie mit einer Rakete innerhalb von Sekunden zum Panoramarestaurant des Sears Tower hinauf: Fernsicht über den Lake Michigan. Wir besuchten Chinatown. Stan erklärte mir, dass es nicht ganz so berühmt sei wie das Chinatown in San Francisco, doch allemal sehenswert. Er hatte recht. Die Geschäftigkeit machte uns heiter und Stan und Hazel gingen Hand in Hand. Die Fremdheit der Waren, der Gerüche, das Umherlaufen nach den langen Autofahrten tat uns gut. Wir kamen zu einem chinesischen Laden, der wie eine Zoohandlung wirkte. Wir gingen hinein. Hühner, Enten, wassergefüllte Wannen mit Karpfen und uns unbekannten Fischen. Es war aber keine Tierhandlung, es war eine Metzgerei. Außer uns war nur eine kleine Frau da, die den Verkäufer anbrüllte und dabei lachte. Beide standen vor einer Kiste, in der Schildkröten lagen. Sie reckten ihre faltigen Hälse. Der Verkäufer nahm eine nach der anderen heraus, zeigte sie der kreischenden Frau. Und dann geschah es: Sie entschied sich für eine. Der Chinese packte sie und riss ihr mit einer einzigen Bewegung den Panzer ab. Hazel schrie auf,

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