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Alle Tränen dieser Erde

Alle Tränen dieser Erde

Titel: Alle Tränen dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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bezahlt. Es war Reuegeld. Oder Haßgeld. Ein Zeichen, ein Symbol – niemand wußte, wofür, obwohl man das Gefühl hatte, daß es wichtig war, so wie man spürt, daß ein Traum wichtig ist, selbst wenn er nicht verstanden wird.
    Jetzt kehrte er zurück. Antonio mochte recht haben. Er würde wahrscheinlich nie mehr in die Dritte Welt zurückkommen; seine eigene Welt würde ihn vermutlich zu einer Maschine machen.
    Aber er mußte Zeugnis ablegen. Er war sechzehn Jahre alt.
    »Leben ohne Toiletten, leben mit nur halbvollem Bauch«, mußte er zu Hause sagen. »Das hat seine Würze. Es ist etwas Positives. Man wird als Mensch dadurch nicht geringer. Es ist keine besondere Tugend, eine weiße Haut, einen dicken Bauch zu haben und jedesmal, wenn die Abführmittel wirken, in eine schöne Porzellanschüssel zu kacken.«
    Er fragte sich, wie überzeugend er das würde vortragen können, wenn er wieder in den riesigen hygienischen Labyrinthen von Westciv war – vor allem, wenn er sich im Innersten noch immer nach all den Annehmlichkeiten und Vorrechten sehnte, nach einer Dusche jeden Morgen, bevor man sich zum Frühstück hinsetzte. Es hatte alles Spaß gemacht, aber genug war genug. Mehr als genug, wenn man bedachte, was die Seuche anrichtete.
    »Du gehst, um deinen Vater wiederzusehen«, sagte Roberta.
    »Vielleicht. In Amerika versuchen wir die Bande der Familie zu zertrennen. Wenn man mit der Religion fertig ist, zerstört man die Heiligkeit der Familie. Das ermutigt die Leute, zu anderen Planeten zu fliegen, dahin zu gehen, wo man sie haben will.« Er schämte sich dessen, was er sagte – und war doch halb stolz darauf.
    »Deshalb seid ihr alle so nervös und wollt dauernd in den Krieg. Ihr werdet als kleine Kinder nicht genug geküßt, wie?«
    »Oh, wir sind alle Einmann-Isolierungs-Einheiten! Das Leben ist nicht so übel, wie du meinst, da oben unter den Rädern des Fortschritts, Roberta«, sagte er bitter. Er küßte sie, und ihre Lippen schmeckten nach Knoblauch.
    Max schlug ihm auf die Schulter.
    »Schluß damit, Freund – du gehst jetzt heim! Steig ein!«
    Pete kletterte mit einem anderen Anarchisten-Weißen auf den Eselskarren. Der andere war vor kurzem von Tunesien zur Insel herübergesegelt. Pete war in die geheimnisvolle Dritte Welt als Fahrer eines vollbeladenen Lastwagens gekommen. Der Lastwagen war in Nubien gestohlen worden, als er an Malaria und Ruhr erkrankt war. Er kam mit leeren Händen zurück, aber die Handflächen dieser Hände waren nicht mehr weich.
    Er drückte Max die Hand. Sie sahen einander wortlos an, als der Kutscher sein Tier antrieb. Da war Zuneigung, ja – auf ihre Art unvergänglich, denn Max war auch ein Möchtegern-Extremist; aber da gab es auch die unerbittliche wechselseitige Feindseligkeit, die unwillkürlich zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden entsprang. Eine Feindseligkeit, stärker als die Menschen, unheilbar durch die Menschen. Sie senkten beide den Blick.
    Pete verbarg seine Verlegenheit und schaute sich um. In den Tagen des Wartens war der Ort ihm völlig vertraut geworden, von der Kirche am einen Ende des Kaktusfeldes bis zum anderen. Er hatte auch den Ablauf des Lebens hier genossen, angepaßt an die Langsamsten und Unbeholfensten, so daß auch sie überleben konnten. Jenseits der Grenze verging die Zeit im Schnellgang.
    Die Hufe des Esels machten auf den abgewetzten Steinen wenig Lärm. Andere Karren ruckten an, gefolgt von Hunden, in der Nähe der Mauern rollend. Es herrschte ein – verzweifeltes und erhebendes – Gefühl, daß sie die Zuflucht der Geschichte verließen und dorthin unterwegs waren, wo das Kraftwerk der Welt begann.
    Pete winkte Max und Roberta und den anderen zu und kniff die Augen zusammen, um die Befestigungen seines eigenen Sektors zu erkennen. Die Grenze stand fern, aber klar in der hellen Luft. Während er hinblickte, sah er eine riesige Comic-Schreckensgestalt, zweimal so lang wie ein erwachsener Mensch, Mensch plus Maschine, über die Ebene auf ihn zuhüpfen. Das Ungeheuer brüllte in obszöner Wut und schien in der Sonne zu flammen.
    Es kam auf ihn zu wie ein flammendes Rad, das einen steilen Berg herabraste, allesverschlingend.
     
     
    VI. Ego. Ted Greaves war mein langjähriger Freund. Ich weiß nicht, warum er sich voll Haß auf mich stürzte, nur weil ich ihn seines Sohnes wegen aufgezogen hatte. Ich weiß auch nicht, weshalb in mir die Wut plötzlich so hochschoß.
    Meinen letzten Aufenthalt bei KUFL hatte ich in ziemlich schlechter

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