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Alle Tränen dieser Erde

Alle Tränen dieser Erde

Titel: Alle Tränen dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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hatte seit seiner Ankunft kein Wort gesprochen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich keinen Kontakt zu ihm finden. Wollte es nicht. Die Eisschollen prallten immer noch zusammen und schmolzen.
    Als Natalie wieder einen Krug hereinbrachte und auf den groben Holztisch stellte, sagte Greaves: »Wir werden es mit einem Helden zu tun haben, wenn Ihr Bruder herüberfliegt, um Sie zu besuchen, sobald er vom Jupiter zurückkommt. Glauben Sie, er wird hier auftauchen?«
    »Sicher! Ian haßt die Ostküste so sehr wie die meisten.«
    »Jupiter scheint er so überfüllt vorgefunden zu haben wie die Ostküste!«
    »Bis er kommt, funktioniert das Klektive Umbuste«, sagte ich.
    »Ich dachte, Sie prophezeien, daß damit Schluß gemacht wird?« meinte Greaves.
    »Das war, als ich am Haß noch fast erstickte.«
    »Sie machen Witze! Wie erstickt man eine Maschine mit Haß?«
    »Input gleich Output. KUFL ist ein Reaktionsspeicher – wenn man Haß einbringt, kommt Haß heraus.«
    »Das gilt auch für Menschen und Menschengruppen«, warf Pete Greaves ein und fuhr mit dem Daumennagel über die Maserung der Tischplatte.
    Ich sah ihn an. Ich konnte nichts Positives für ihn empfinden. Er hatte recht mit dem, was er sagte, aber ich konnte ihm nicht recht geben. Er hatte mich getötet – obwohl ich das in seiner Maske gewesen war – obwohl es sich um eine Hypno-Illusion gehandelt hatte.
    Ich zwang mich, zu sagen: »Es ist ein Paradox, wie ein Mensch Leute hassen kann, die er nicht kennt und nicht einmal gesehen hat. Man kann Menschen sehr leicht hassen, wissen Sie – Menschen wie Sie.«
    Pete antwortete nicht und sah nicht auf.
    »Es wäre eine Tragödie, wenn wir die Wesen auf dem Jupiter hassen würden, nur, weil es sie gibt.« Ich sagte es herausfordernd, aber er zuckte nur die Achseln. Natalie trank aus ihrem Krug und beobachtete mich. »Glauben Sie, daß ein paar von Ihren wilden Freunden jenseits der Grenze herüberkommen und ihre Archetypen in KUFL einbringen würden?« fragte ich ihn. »Glauben Sie, sie könnten das Tempo und die Reise aushalten?«
    Er und sein Vater starrten mich an wie vom Blitz getroffen.
    Bevor der Junge etwas sagte, wußte ich, daß ich zu ihm durchgedrungen war. Er würde nicht im stillen schizoid werden müssen. Er würde schließlich mit mir und Natalie reden, und wir würden aus erster Hand von seinen Reisen hören. Zuerst mußten nur ein paar Abwehrschichten verschwinden. Bei mir und bei ihm.
    »Das muß ein Witz sein!« sagte er.
    Ich lachte plötzlich. Alle dachten, ich machte Witze. Je nachdem, was man als Witz betrachtet, hatte ich das Gefühl, nach vielen Jahren endlich mit den Witzen aufgehört zu haben. Ich wandte mich plötzlich vom Tisch ab, um ein Brennen in den Augen zu verbergen.
    Ich griff nach Natalies Arm und sagte: »Komm, wir müssen Ri ins Bett bringen. Sie denkt, wir hätten sie vergessen.«
    Als wir den Weg entlanggingen, sagte Natalie: »War dein Vorschlag ernstgemeint?«
    »Ich glaube, ich kann das durchsetzen. Ich spreche mit Wace. Es muß sich etwas ändern. KUFL ist nicht im Gleichgewicht.«
    Die Finken flatterten in ihren Käfigen. Die Schattenlinie war über die Mauer geglitten. Unter unseren Orangenbäumen lag nur noch Schatten, und die erste Fledermaus flatterte. Ich stand vor Ri, bevor sie mich bemerkte. Erschrocken sah sie zu mir auf und brach in Tränen aus. Vieles mußte sich ändern.
    Ich hob sie hoch und küßte sie.
    Vieles mußte sich ändern. Die menschliche Verfassung blieb dieselbe, aber vieles mußte sich ändern.
    Selbst die langen Nächte auf der Erde waren nur lokale Erscheinungen des ewigen Sonnenlichts. Selbst die verschiedenen Generationen des Menschen hatten Archetypen gemeinsam, und ihre langsamen Windungen waren nicht bedeutungslose Bewegung, sondern schwerfällige und bewußte Gestik.
    Und so trug ich sie ins dunkle Haus zum Schlafen.

Die letzten Worte
     
     
     
    DAYLING, Orton Gausset, 1972-1999:
    In einer kurzen Sendung kann diesem großen und noch immer umstrittenen Künstler kaum Gerechtigkeit geschehen. Die beigegebenen Hologramme werden Daylings herausragende Fähigkeiten deutlicher machen als Worte.
    Illusion und Auflösung bezeichnen die Art seines Geistes. In seiner letzten Lebensperiode glaubte Dayling von sich, er sei allein auf der Welt und zum Kustos der Stadt Singapur ernannt, von der er als einer der verlassenen Städte sprach, die bald der Flut unterliegen mußte.
    Seine Mutter war die bekannte Biophysikerin Mary May Dayling. Sein Vater wurde

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