Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Wörlitzer in Reli eine Kontroverse über Traditionen und Reformen lostrat. Ob es wünschenswert sei, daß Seeleute zu Weihnachten einen Tannenbaum mit aufs Schiff nähmen, und ob die Begriffe Autorität und Strenge miteinander in Einklang gebracht werden könnten.
Der Wörlitzer immer mit seiner »Autorität«. Was sollte das bloß? Hatte dessen Alte zuhause die Hosen an?
Anneliese Junkers zeigte auf und sagte, daß irgendwo jeder Mensch für sich allein Autorität ausüben und sich seine Mode irgendwie selber schaffen müsse, statt den vorgestanzten Meinungen der breiten Masse zu folgen, und da schlug der Wörlitzer den Mädchen vor, sie könnten doch mal eine Modenschau inszenieren, hier in der Klasse, vor den Herren der Schöpfung: »Na, wie steht’s, meine Damen, oder darf ich Dämchen sagen?«
Echt krank, der Typ.
Von allen Kohlsorten aus deutschen Landen schmeckte mir Grünkohl am besten, mit deutlichem Abstand vor seinen ungenießbaren Spießbrüdern Rotkohl, Weißkohl, Spitzkohl, Blumenkohl, Rübenkohl, Rosenkohl und Kohlrabi. Bei uns durfte man sich den Grünkohl sogar zuckern, nach ostpreußischem Rezept, und es gab dazu Bratkartoffeln mit Kassler, Speck und sogenannter Pinkelwurst.
Als sie hörte, wie die Wurst hieß, stieß Wiebke einen Bäh-Laut aus, der ihr mindestens einen Tag Zimmerarrest eingetragen hätte, wenn Papas Blick nicht zufällig im selben Moment auf meine ungekämmten Zotteln gefallen wäre: »Du bist ja noch immer nicht beim Friseur gewesen!«
Das war ein Marschbefehl. Ich mußte also zum Friseur petten und mich stutzen lassen, bis ich aussah wie ein geschniegelter Gimpel. Da half auch hinterher das Zerzausen der Frisur vorm Badezimmerspiegel nichts.
Im Treppenhaus hatte Volker einen ziehengelassen. Wiebke übte Tonleitern, Mama kramte auf dem Dachboden Teppichreste für Renates neue Wohnung zusammen, Papa brachte den fertiggeknüpften Lampenschirm testhalber überm Eßtisch an, und in meinem Stern -Horoskop stand der schlaue Ratschlag:
Ärgern Sie sich nicht weiter mit dieser Gesellschaft herum. Kehren Sie ihr den Rücken, für immer!
Nichts lieber als das. Alle Brücken abbrechen und untertauchen, um irgendwo anders ein neues Leben anzufangen. Über den großen Teich schippern, nach Amerika, wo einen Oliver Hardy am Hafen empfängt, und dann wie Stan Laurel im Schottenkilt mit nichts drunter jedem Weiberrock hinterherrennen ...
Die zweite Führerscheinprüfung hatte Renate bestanden, mit Ach und Krach, und nun packte sie ihren Strund ein: Bücher, Schallplatten, Fotoalben, Untersetzer, Wolle, Poster, Nippes, alte Handarbeitshefte, die Strickmaschine und Mamas Dampfkochtopf mit der Bodenbeule, die auf Renates Gasherd in Bonn nicht stören würde.
Papa befestigte den Dachgepackträger auf dem Polo und obendrauf die Plastiksäcke mit Renates Bettdecken, und zwar so stramm, daß da auch bei Windstärke 12 nichts ins Rutschen geraten konnte, aber dann brach irgendeine Schraube ab, und die gesamte Prozedur fing wieder von vorne an.
»Geh noch mal verschwinden«, sagte Mama zu Wiebke, die es sich auf der Rückbank schon bequem gemacht hatte, zwischen Malbüchern und Fressalien.
Bei der NASA klappte auch nicht jeder Start nach Plan.
Irgendwann war es aber soweit. Renate, die am Steuer saß, um sich Fahrpraxis anzueignen, legte den Rückwärtsgang ein und setzte den Polo mit Mama und Wiebke an Bord von der Einfahrt zurück auf die Georg-Wesener-Straße.
Schöne Grüße vom Getriebe!
Den ersten und den zweiten Gang legte Renate dann nahezu geräuschlos ein, und weg waren sie, die drei weiblichen Familienmitglieder.
»Wenn dat man got geiht«, sagte Papa.
Im Müngersdorfer Stadion holte sich Gladbach dank Toren von Heynckes und Bonhof zwei wichtige Auswärtspunkte, und so saß ich abends grundzufrieden vor dem Fernseher. Es lief ein Spielfilm mit James Dean als Farmerssohn, der im Zwist mit seinem Zwillingsbruder und dem halsstarrigen Vater lebte, und ich hätte gern gewußt, wie die Geschichte ausging, aber mittendrin befehligte mich Papa in den Keller, wo ich ihm beim Zuschneiden von Brettern helfen sollte, an der mörderisch kreischenden Kreissäge. Das hätte auch Volker tun können, aber der dümpelte in der Badewanne.
Wozu Papa die zersägten Bretter brauchte, wußte nur er allein. Das interessierte mich auch nicht. Ich wollte wieder hoch ins Wohnzimmer, um den Rest des Films nicht zu verpassen, aber dann geschah das Unglück: Papa kam mit seiner rechten Hand dem
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