Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Skorpion«.
Weihnachtsvierteiler gab’s dieses Jahr im ZDF überhaupt keinen, und dabei hatte es doch nie was Besseres gegeben im Fernsehen. Ich verstand das nicht. Wie war das früher immer so schön gewesen mit den Vierteilern: »Tom Sawyer«, »Der Seewolf«, »Zwei Jahre Ferien«, und jetzt? Im Dritten lief ein schauderhaftes Musical mit Fred Astaire und Ginger Rogers, die wieder endlose Steptänze aufs Parkett legten. Meiner Meinung nach war Steptanz die stupideste aller künstlerischen Ausdrucksformen; noch beknackter als Seidenmalerei, Ikebana und Gummitwist.
Mama verzog das Gesicht, als sie bei der Bescherung mein Geschenk aus dem Papier gewickelt hatte: »Das Alter« von Simone de Beauvoir. In Mamas fortgeschrittenem Alter, hatte ich gedacht, müßte sie dieses Thema doch interessieren.
Mein eigenes Hauptgeschenk war ein großes Wandregal. Das hatte Papa im Wohnzimmer provisorisch aufgebaut. Was ich außerdem noch einheimsen konnte, waren jeweils zwanzig Mark von Tante Gertrud und Tante Dagmar und ein Kursbuch -Reprint von Renate und Olaf. Onkel Dietrich hatte mir eine LP von Reinhard Mey vermacht, und den Rest konnte man vergessen. Oder bildeten sich Oma und Opa Jever ein, ich würde Freudenschreie über einen neuen Schlafanzug ausstoßen?
Die anderen hatten auch fast nur lauter Schrott gekriegt: Renate ein Deodorant, Mama einen neuen Keramiktopf von Tante Grete, Wiebke ein Pferdebuch von Tante Therese und Papa von seinen Brüdern eine Spielzeuglokomotive und neue Schienen für seine mistige alte Eisenbahn und von Oma Schlosser eine Bibelkonkordanz. Wiebke hatte außerdem noch ein Filzstiftmäppchen und einen Kassettenrekorder abgestaubt, dem man auf den ersten Blick ansah, daß er nicht für die Ewigkeit geschaffen worden war. Von Renate erhielt Wiebke zwei gestrickte Känguruhs, die sie spontan auf die Namen Skippy und Hoppedi taufte, und da mußte ich erst einmal rausgehen, weil mir der Glühwein und die Lebkuchenherzen hochkamen.
Volker paradierte später im Wohnzimmer mit einem fabrikneuen Sturzhelm auf dem Dez und einer LP von Emerson, Lake und Palmer unterm Arm. Von Onkel Walter hatte Volker einen Haufen Geld eingestrichen. Sein aktueller Kontostand belief sich angeblich auf 505 Mark und 14 Pfennig.
Das beste an der ganzen Bescherung war der gebrauchte Zweitfernseher, den Tante Gisela uns vermacht hatte. Ein Schwarzweißgerät, leider, aber immer noch besser als keins. Dieser Apparat sollte irgendwo oben angeschlossen werden, und dann müßten wir uns nie wieder über das Fernsehprogramm streiten.
Frühmorgens was von den Adventstellern der anderen zu naschen, die noch im Tiefschlaf lagen, das konnte ich nicht lassen. Jeder ist sich selbst der Nächste.
Dann legte ich die Platte von Reinhard Mey auf. Der schien Vater geworden zu sein.
Menschenjunges, dies ist dein Planet,
Hier ist dein Bestimmungsort, kleines Paket ...
Etwas besser als dieses Geplänkel gefiel mir ein Liebeslied, von dem ich sogar eine Gänsehaut kriegte, ohne sagen zu können, ob es daran lag, daß das Lied so schön oder so scheußlich war.
Ihr Haar fiel, als sie neben mir schlief,
Wie Strahlen zu Bändern gereiht ...
Dabei stand mir Michaela Vogt vor Augen. Die Frau meiner Träume. Ihr nur einmal durch das Haar zu streichen, wenn sie neben mir schlief, das wäre schon die Erfüllung gewesen.
»Schmatz nicht so!« rief Papa beim Mittagessen. »Und schling nicht so! Wir sind hier nicht bei den Botokuden!«
In den alten Kursbuch -Nummern konnte man nachlesen, was die Studenten 1968 auf die Barrikaden gebracht hatte:
Die Empörung darüber, untätig zusehen zu müssen, wie Einzelne vor aller Augen verprügelt werden, treibt die Demonstranten dazu, sich handelnd von der Empörung zu befreien. Indem sie zu Mitteln greifen, die sie mit dem Gesetz in Widerspruch bringen, zahlen sie den Preis, den ihre moralische Identität ihnen abverlangt.
Die Studenten hatten zurückgeschlagen, anders als die Feiglinge und Mitläufer aus Opa Jevers Nazi-Generation.
Wenn bei uns jemand klingelte, dachte ich jedesmal: Das ist jetzt Michaela Vogt. Die hat’s nicht länger ausgehalten ohne mich, und nun steht sie vor der Tür, bleich und angespannt: »Kann ich den Martin mal sprechen?«
Meistens war es dann nur falscher Alarm, und es stand irgendein stumpfer Paketbote auf der Matte, aber diesmal war es Uli Möller.
»Hallo Martin«, sagte er. »Ich will nur dein Trikot wiederhaben, denn du spielst ja nicht mehr für uns.«
O
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