Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
das ist Mutti! Das ist Mutti! Die kennt das eben nicht anders, und dann ist sie eingeschnappt, wenn wir uns nicht alle ein Beispiel nehmen an ihrer Bescheidenheit ...«
Gustav amüsierte sich königlich. »Amselfelder!« rief er immer wieder. »Köstlich! Amselfelder!« Er patschte sich dabei aufs Bein und wischte sich mit dem Zeigefingerknöchel eine Lachträne aus dem Augenwinkel, was gar nicht so einfach war für einen Brillenträger mit brennender Pfeife in der Flosse.
Zur allgemeinen Überraschung ergriff dann auch Papa das Wort und gestand, daß er einmal selber Amselfelder getrunken und seinen sträflichen Leichtsinn bald darauf bereut habe: »Dieses Gesöff zieht einem wahrhaftig die Schuhe aus ...«
Der Dellbrügge hielt sich zum Glück zurück. Von dem war mir bekannt, daß er in die Todesstrafe befürworte, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ablehne und in seiner Garage Goldbarren und Klopapierrollen horte. Bei Tante Dagmar war er unten durch, seit sie ihn mal sagen gehört hatte: »Mein Ehrenwort als Offizier!« Was Tante Gisela an dem fand, wußte keiner außer ihr.
Weil es im Schützenhof noch dick zu essen geben sollte, fiel das Abendbrot aus, und ich zog mich mit einem Buch aus Opas Beständen in die Veranda zurück. Oswald Andrae: »De bruun Ranzel ov: Wat’n mit mi maken kann«. Oswald Andrae war ein Schriftsteller, der in Jever lebte. In dem Buch beschäftigte er sich mit der nationalsozialistischen Indoktrination in seiner Schulzeit im Dritten Reich in Jever. 1945 habe ein Hitlerjunge eine Maschinenpistole mit einem braunen HJ-Hemd umwickelt und sie in den Stadtgraben geschmissen. Und der Vater von Oswald Andrae habe das Schild mit der Aufschrift »Juden hier nicht erwünscht« von der Ladentür abmontiert:
De Schruvenlöcker harr mien Vader mit Stockfarv vullsmäärt, man mit de Jahren wies dat Holt van de Döör ümmer weer sien Narven.
Und während die oberflächlich zugeschmierten Schraubenlöcher im Türholz ihre alten Narben zeigten, hätten die alten Nazipauker ihr Mäntelchen nach dem Winde gehängt, nach den zwölf verpfuschten Jahren unter Hitler:
Uns Jungen wullen se na twelf aflopen Jahren tomal wat vertellen van de »ganz olen Werte«. Worüm harrn se uns denn twelf Jahr lang lehrt, wat nich Rechtens weer? So fraag ick mi. Un ick dach mi: vertellt man Lüü, vertellt man! Dreiht jo fleidig na den Wind, denn hangt ja alltiet richtig!
So wie Oma. Gustav hatte mir mal gesteckt, daß die vor jedem Schupo innerlich erzittere und es nicht abkönne, wenn jemand was gegen die Regierung sage, ganz egal gegen welche: Oma Jever hätte in jedem Regime einen gehorsamen Leibeigenen abgegeben, vor lauter Angst, und das gleiche gelte für unseren verehrten Herrn Großvater Gepke Lüttjes, der als Lehrer in die NSDAP eingetreten sei, um seinen Arsch zu retten.
Volker, Wiebke und ich durften in der Mühlenstraße im Keller schlafen. Alle anderen Festgäste pennten entweder in ihrer eigenen Bude oder in Hotels. 64 Leute hätten sich angekündigt, sagte Tante Luise, und 31 davon würden in Hotelzimmern übernachten, auf Kosten von Oma und Opa. »Wenn die sich da mal nicht übernommen haben!«
Im Schützenhof begrüßten Oma und Opa jeden Gast persönlich mit Handschlag beziehungsweise Küßchen. Opa trug einen Frack und eine silberne Fliege. Mama hatte sich ihr buntes langes Blumenkleid angezogen, und als Renate anrückte, sprach Oma ihr ein Kompliment aus: »Du hast dich ja direkt mit modernem Pfiff ausgestattet!«
Ich schwitzte. Mein weißes Hemd hatte ich mir bis oben zuknöpfen gemußt, und dann auch noch der Schlips und das Jackett und überhaupt die ganze Festveranstaltung. Erst nachdem ich mir drei, vier Gläser Sekt hinter die Binde gegossen hatte, ging es mir etwas besser.
Vor dem Essen hielten Papa und Opa kurze Reden ans Volk. Ich hörte weg, weil ich mir schon denken konnte, was darin vorkam: das Jeverland, die Weltkriege, die glückliche Fügung, daß Opa beide Male mit dem Leben davongekommen sei, der unermüdliche Fleiß seiner lieben Gemahlin in Haus und Garten, die Freude über das Gedeihen der Kinder und Kindeskinder, die sich an diesem Jubeltage vollzählig versammelt hätten und so weiter und so weiter.
Zwischen den einzelnen Gängen verstrich viel Zeit. Gustav berichtete von einem Spaziergang nach Ostberlin: Beim Grenzübertritt habe er 6 Mark 50 einwechseln müssen und sei von Kopf bis Fuß gefilzt worden, vermutlich wegen dem schwarzrotgoldenen Emblemchen auf
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