Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
einziges Hetzen und Jagen. 1956 sei sie da zum ersten Male gewesen, als Schreibmaschinen-Schnellschreiberin der Firma Olympia, untergebracht in einer Pension ziemlich weit außerhalb, wie alle Sekretärinnen. »Man war von seiten der Geschäftsleitung doch sehr darauf bedacht, uns von den Anfechtungen des großstädtischen Nachtlebens fernzuhalten, so daß wir morgens frisch und ausgeruht zum Dienst antreten konnten. Aber bei den Herren der Schöpfung war das anscheinend nicht so wichtig! Prost!«
Kim und Norman seien leider schon betrunken, sagte Renate. »Die haben sich zuviel Appelkorn zugemutet, und jetzt torkeln sie ... ah, da kommen sie ja! Vorsicht! Hello, Kim!«
»Sit down!« rief Tante Gisela und schob einen freien Stuhl an die Stelle, wo Kim zusammensackte. Norman hielt sich mit einer Hand an der Stuhllehne fest, stützte sich mit der anderen auf den Tisch und brachte mit einiger Mühe den Satz hervor: »Tell me, please ... is it dörr Küche or düh Küche?«
»So geht das die ganze Zeit mit denen«, sagte Renate.
»What do you mean?« fragte Tante Gisela.
»Well, the point«, sagte Norman, aber dann kam er nicht weiter, weil er sich darauf konzentrieren mußte, sein Gleichgewicht zu halten. Kim hatte sich inzwischen vornübergebeugt und mit dem Oberkörper auf der Tischfläche eine Ruheposition eingenommen, die auf Dauer nicht bequem sein konnte, aber Kim war nicht bewußtlos. Sie wimmerte leise, und in unregelmäßigen Abständen konnte man sie auch kichern hören.
Als er seine Balance wiedergefunden hatte, setzte Norman abermals an: »Now, please tell me – is it dörr or düh Küche?« Dabei verlieh er seinen sumpfigen Augen und seiner ganzen Miene den gequälten Ausdruck eines Mannes, der es jetzt wirklich wissen wolle.
»Ach, ich glaube, ich weiß, was er meint«, sagte Renate. »Norman, listen: It is die Küche. And not der Küche! In Germany, the kitchen is weiblich. We say: die Küche.«
Kim bäumte sich auf und krächzte: »Diddnattelljer!?« Und dann brach sie wieder zusammen.
Norman war jedoch noch nicht zufrieden. »But today, Auntie Dagmar said that we could eat our meal in dörr Küche. Not in düh Küche!«
Tante Gisela versuchte ihn zu aufzuklären: »Normalerweise, we say die Küche, aber wenn wir gefragt werden, wo es das Essen gibt, dann sagen wir: In der Küche.«
»Why?« fragte Norman.
Das könne sie ihm nun auch nicht so schnell erklären, sagte Tante Gisela. Das sei eben so. Basta. »Deutsches Sprack, schweres Sprack! Forget it!«
Zu einem mir unbekannten Mann, der ihm von einem anderen mir Unbekannten vorgestellt wurde, sagte Gustav: »Je cravatte!« Weil das auf Unverständnis stieß, fügte er hinzu: »Ein anderes Wort für Krawatte?«
Auch das stieß auf Unverständnis.
»Binder«, sagte Gustav. »Ein anderes Wort für Krawatte ist Binder. ›Je cravatte‹, das bedeutet infolgedessen: ›Ich bin der.‹ Denn Sie wollten doch sicherlich wissen, wer ich selber bin, nachdem Sie mir vorgestellt worden sind, oder nicht?«
Wiebke soff den ganzen Abend Pepsi-Cola und trieb sich mit den Hildesheimer Kusinen herum. Deren kleiner Bruder saß stumm wie ein Fisch an einer Ecke des Tischs, wo auch seine Eltern hockten. Zwei ältere Schwestern und keinen Bruder in der Familie, das hätte ich auch nicht so leicht verkraftet.
Oma war ganz wild aufs Tanzen. Als sie von einem ihrer Vettern aus der lustigen Sippe Rickels aufgefordert wurde, rief sie überlaut: »Na endlich!«
Die meisten Angehörigen dieser weitverzweigten Familie, von der Oma mütterlicherseits abstammte, konnte man an den gut durchbluteten Gesichtern, an den großen Ohren und vor allem an der heiteren Laune erkennen, die in der Familie Schlosser Mangelware war. »Eten, slapen, supen, langsam gohn un pupen!« schrie ein Rickels, und ein anderer: »Noch ’n Lütten für die Lüttjes!«
Dann war Damenwahl. Jetzt gehe es »den Mannslüet ans Leder«, rief Oma. Ich dachte mir nichts dabei, bis Renate mich vom Stuhl hochzog und mich dazu zwang, mit ihr auf dem Tanzboden herumzuhoppeln.
Was tanzten wir da überhaupt? Cha-Cha-Cha? Oder Paso doble?
Aus Versehen stieß ich mit dem Ellbogen ein halbvolles Bierglas von einem der Tische, und ich hörte jemanden rufen: »Of dat nödich deiht?«
Von der Tanzerei wollte ich mich an der Bar bei einem neuen Glas Bier erholen. Gustav saß auf einem Hocker und erzählte frivole Witze. »Ein ostfriesischer Bauer fragt seinen Nachbarn: ›Wenn ich deiner Frau ein Kind mache,
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