Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
von denen selbst als scheißefressendes Insekt verunglimpft worden wäre? Und was war denn das überhaupt für ein Ton?
Was für ein Glück, daß dieser bajuwarische Hitzkopf in Bonn so gut wie abgemeldet war.
Völlig unbekümmert ging ich nach dem Duschen einmal barfuß auf die Gartenterrasse hinaus und merkte erst nach ein paar Sekunden, daß mir ein Fehler unterlaufen war. Die Terrassensteine glühten wie Magma. Ich hechtete zurück ins Haus und stürzte mich aufs Sofa und bepustete mir meine angesengten Fußsohlen.
Danach mußte ich auch noch drei Gewitterwürmchen, die sich auf meinen Unterarmen tummelten, nach draußen pusten.
Die Bahnfahrt nach Jever verlief ohne größere Zwischenfälle, wenn man mal davon absah, daß ich mir fast auf die Schuhe gepißt hätte, als mir in der Zugtoilette plötzlich eine Wespe um die Klöten flog, und daß mir ab Sande ein Mädchen schräg gegenübersaß, das Michaela Vogt wie eine Zwillingsschwester glich. Nur die Nasenflügel sahen irgendwie ein bißchen anders aus, und die Frisur.
Ich versuchte mich auf meine Lektüre zu konzentrieren, die »Odyssee«.
Viele schlaflose Nächte hab ich auf elendem Lager
Hingebracht und sehnlich den schönen Morgen erwartet ...
Aber mir verschwammen die Buchstaben vor den Augen. Ich mußte einfach immer wieder dieses wunderschöne Mädchen ansehen, das mich selbst überhaupt nicht wahrzunehmen schien, sondern nur gedankenverloren dasaß.
In Heidmühle, der letzten Station vor Jever, stieg das Mädchen aus, und ich sah ihm nach, wie es den Bahnsteig hinunterging, fort von mir, für immer, ohne daß es ahnte, welche Chance es verpaßt hatte und wie selig es an meiner Seite geworden wäre. In Heidmühle würde es vermutlich irgendwann an einen abgestumpften kaufmännischen Lehrling oder so geraten und in einer kreuzunglücklichen Ehe dahinsiechen und verwelken.
Denn im Unglück altern die armen Sterblichen frühe ...
Oma Jever hatte eine sogenannte Mockturtlesuppe zubereitet, aus salzigen Fleischklöpsen, gedünsteten Champignons und Suppengrün. Auch Gustav war da. Er langte kräftig zu und ließ sich dreimal Nachschlag reichen, bevor er daran dachte, nach dem Dessert zu fragen.
»Dafür hat mir heut die Zeit gefehlt«, sagte Oma. »Ich hab zu lang bei Tante Doktor warten müssen ...«
Oma Jever hatte ein offenes Bein und noch einige andere Altersgebrechen.
»Verstehe«, sagte Gustav. »Nachtisch fällt leider aus wegen is’ nich’.«
Die Schwäne im Schloßgarten hatten Junge bekommen, sieben Stück, und die Pfauen fünf. Ich machte eine Menge Fotos und brachte den vollen Film zu einem Fotogeschäft zum Entwickeln.
Nach dem Mittagsschlaf trank Oma ein Gläschen Granoton. Das war ein Herz- und Kreislaufmittel. Dann mußte sie Gustavs Wäsche bügeln und eine seiner Jeanshosen flicken. »Na, staunst du wohl, daß ich noch zu so viel Tätigkeit fähig bin«, sagte Oma zu mir. »Aber nun hab ich bald auch wirklich genug davon! Ich werde nämlich auch nicht jünger, das darfst du mir glauben. Nur mein lieber Mann bleibt immer gleichmäßig jung und schön!«
Opa saß in der Veranda an seinem Schreibtisch und übertrug die stenographischen Notizen über das Familienleben, die er in den frühen Nachkriegsjahren angefertigt hatte, in eine großformatige Kladde, in Schönschrift, für die kommenden Geschlechter, die vielleicht mal wissen wollten, was ihre Vorfahren den lieben langen Tag getrieben hatten.
Zum Tee erschien Gustav mit glimmender Pfeife. McBaren’s.
»Das ist doch aromatischer als der olle Zigarettenqualm«, sagte Oma, und dann kramte sie die dreißig Bilder hervor, die Onkel Immo bei der Goldenen Hochzeit mit seinem neuen Fotoapparat geknipst hatte. »Und kein einziges ist was geworden! Hätte er man seine alte Kamera genommen, dann wär ihm das nicht passiert!«
Währenddessen zog ein Gewitter über Jever hinweg, blitzend und krachend, und darauf folgte ein üppiger Regenschauer.
Abends ging Gustav einen saufen, »bei Clarence«, was bedeutete, daß er sich mit seinen Kumpels in einer Kneipe treffen wollte, deren Wirt angeblich so ähnlich schielte wie der eine Löwe in der Uralt-Fernsehserie Daktari .
»Heute vor achtzehn Jahren sind wir in die Mühlenstraße gezogen«, sagte Opa beim Frühstück. »Auf den Tag genau.«
Also am 3. August 1960. Und seitdem hatten Oma und Opa die gesamte Weltgeschichte von der Mühlenstraße aus betrachtet – die Kuba-Krise, die Spiegel -Affäre, die Beatlemania, das
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