Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Wembley-Tor, die Große Koalition, die chinesische Kulturrrevolution, den Vietnamkrieg, die Studentenunruhen, Woodstock, die Mondlandung, den Machtwechsel in Bonn, den Putsch in Chile, den Watergate-Skandal, die Affäre Guillaume, Gerd Müllers 2:1 im Endspiel gegen Holland, die Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki, den Tod von Elvis Presley, die Schleyer-Entführung und absolut alles, was sich sonst noch außerhalb von Jever zugetragen hatte.
Wahnsinn.
Als Oma den Frühstückstisch abgedeckt hatte, spielte sie mit Opa Rommé, und ich ging in den Garten. Die Nachbarskinder aus dem Haus waren mit ihren Eltern im Urlaub. Gut so. Mit quirligen Rollerfahrern hätte ich jetzt nichts zu tun haben wollen.
Beim Schuppen umschlichen zwei orangefarbene Katzen maunzend und mit hochgestelltem Schweif einen leeren Freßnapf. Den hätte man ja mal wieder auffüllen können, dachte ich, und da bog Gustav bereits mit einer Gabel und einer offenen Dose Katzenfutter um die Hausecke.
»Diese Miezen leisten uns hier schon seit letztem Wochenende Gesellschaft«, sagte er und polkte das glibbrige Zeugs aus der Dose in den Napf, und die Katzen stürzten sich darauf, obwohl oder gerade weil es stank wie ein verfetteter alter Mäuserich unterm Arm.
Hinterher turnten die Katzen auf Gustav herum, der in der Hocke saß, und ich machte eine Aufnahme davon.
Wie man hörte, hatte der gute alte Hans Karl Filbinger in der Nazizeit noch ein weiteres Todesurteil gefordert, in einem Prozeß gegen einen Matrosen, der mit ein paar aus einer zerbombten Drogerie gemopsten Sächelchen erwischt worden war. Auf Antrag Filbingers war dieses Todesurteil später zwar in eine mehrjährige Freiheitsstrafe umgewandelt worden, aber der CDU fiel es von Mal zu Mal schwerer, das besudelte Image des Ministerpräsidenten wieder aufzupolieren. Daß Filbinger im Dritten Reich keiner Fliege etwas zuleide getan hatte, konnte er ja wohl mittlerweile selbst nicht mehr glauben.
Nach dem Abendbrot machte ich noch einmal einen Gang durch die Stadt, nur für mich, ganz ohne Plan, und da kamen auf dem Alten Markt zwei junge Frauen auf mich zu. Die eine faßte mich am Arm und fragte mich ganz freundlich: »Willst du mit uns schlafen?«
Ich riß mich los und drehte dann noch eine lange Runde ums Schloß herum. Was waren denn das für zwei Weibsen gewesen? Prostituierte womöglich? In Jever? Oder nymphomanisch veranlagte Kokotten, die in dieser Nacht mit jedem männlichen Wesen ins Bett gegangen wären? Und sogar mit mir?
Auf dem Rückweg pirschte ich mich noch einmal an den Alten Markt heran, doch die beiden liebestollen Bräute waren verschwunden.
Nachts im Bett patschte ich mir der Hand an die Stirn. Ich Depp! Wieso war ich weggelaufen, statt zu sagen: »Ja, natürlich! Bin dabei! Wann soll’s denn losgehen?«
Zumal diese Frauen ja auch noch sehr hübsch ausgesehen hatten. Blauäugig und blond die eine und die andere dunkelhaarig und im Minirock. Ach Gott, ach Gott, was war ich nur für ein Idiot!
Aber andererseits, wenn das Nutten gewesen waren, dann hätten sie mir vielleicht einen Orgasmus vorgetäuscht und mich anschließend um meine Barschaft erleichtert.
Beim Malefizspielen hatte Oma keine Schnitte gegen mich, weil sie ihre Figuren viel zu dämlich positionierte, nämlich so, daß sie die Palisaden, die ihr den Weg versperrten, meistens nur mit einer Eins raushauen konnte und nicht auch noch mit anderen Würfelzahlen. Durch pures Glück gelangte sie dann trotzdem einmal mit einem ihrer Männchen bis kurz vors Ziel, und der Himmel stand ihr offen. Sie hätte bloß noch eine Drei würfeln müssen, aber sie würfelte eine Zwei. Im nächsten Zug schmiß ich Omas Männchen raus, und darauf reagierte sie so sauer wie ein dreijähriges Kind: »Du mit deinem ewigen Glück! Dann kannst du ja auch mit dir selber spielen, wenn du immer gewinnen willst! Dazu brauchst du ja wohl nicht auch mich noch!«
»Soll das heißen, daß du aufgibst?«
»Nein, das soll nur heißen, daß ich vorläufig genug von deinem Grinsen habe! Und im übrigen muß ich jetzt sowieso in die Küche, denn sonst verkochen mir da noch die Kartoffeln ...«
Mit Tante Dagmar, die Gustav und ich vom Bahnhof abgeholt hatten, fuhren wir nachmittags nach Neuharlingersiel, mit der Karre, die Omas und Opas Nachbarn ihnen überlassen hatten. Gustav saß am Steuer, Opa auf dem Beifahrersitz und ich hinten zwischen Oma und Tante Dagmar.
»Und gehst du denn jetzt eigentlich auch in die Tanzstunde?«
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