Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
gehört: Wir haben zwei Tage eisfrei. Sowas gibt’s in Meppen nicht, oder doch?
Am 16. muß ich mein elendes Deutschreferat halten. Und ich hab noch immer keine Ahnung, was ich machen soll.
Jetzt ist Sonntagmorgen. Was heißt Morgen? Elfe isses, und mein Vater brüllt, wir sollen endlich aufstehen. Mein Deutschreferat schwebt nach wie vor in geistigen Sphären und hat sich noch nicht materialisiert. Aber den nächsten Dienstag gibt es ja auch noch nicht (sehr philosophisch). Meine Magennerven signalisieren Hunger, während irgendwas in meinem Kopf eine so große Faulheit auslöst, daß ich mich nicht überwinden kann, nach unten zu gehen und zu frühstücken. Doch soeben brüllt mein Vater abermals. Also mach ich lieber Schluß. Und den nächsten Brief am besten kürzer. Kostet ja sonst ein Heidengeld, das Vergnügen.
Bella Ciao.
Untendrunter prangte ein quadratischer grünrotgoldener Aufkleber:
Helft den Leprosen – Helpu al la Lepruloj – Johannes-Gymnasium 542 Lahnstein.
Lepruloj? Was war denn das für ’ne Sprache? Und was hatte diese Lahnsteiner Penne mit den Leprakranken zu tun?
Juppheidi: Der Schah von Persien war geflohen, nach Ägypten. 37 Jahre lang hatte dieser Schurke diktatorisch regiert, und nun war Schluß damit. Ätsch! Vermutlich hatte er zuvor noch eben schnell ein paar Milliarden auf ein Schweizer Nummernkonto überwiesen, um nicht völlig mittellos dazustehen, denn er brauchte ja auch als Flüchtling genügend Zaster für die Bezahlung der Höflinge, die ihm die Füße küßten und seiner kaiserlichen Gemahlin die Schuhe putzten.
In dem neuesten Heft der Informationen zur politischen Bildung ging es um die kommunistische Ideologie. Beachtlich war die erste, als Faksimile wiedergebenene Seite der Moskauer Prawda vom 17. November 1950 mit dem eingekringelten Namen Stalins: Mehr als einhundertmal kam er vor, davon achtunddreißigmal als »Genosse Stalin«, zehnmal als »Großer genialer Führer und Lehrer«, fünfmal als »teurer und geliebter« und achtmal als »großer« beziehungsweise »genialer« beziehungsweise »weiser« Stalin; zwanzigmal wurde sein Name adjektivisch verwendet und zwanzigmal ohne Zusatz.
Wenn das kein Personenkult war, was dann? Und was hatte das Volk von einem Kommunismus mit einem göttergleichen Götzen an der Regierungsspitze, der sich von gleichgeschalteten Journalisten die Eier lecken ließ?
An Stalins Stelle wäre ich mir komisch vorgekommen im Kreml, umgeben von einem Haufen kriecherischer Lobhudler, die um ihr Leben zitterten. Ganz allein mit sich, vor dem Rasierspiegel, nach einer durchsoffenen Nacht, mußte sich doch auch der geniale Genosse Stalin im klaren darüber gewesen sein, daß er kein Halbgott war, sondern nur ein Arsch mit Ohren.
»Limericks mit Schwarzer Hand«, so hieß die Überschrift einer Tabakreklame im neuen Stern :
Ich hab einen Enkel in Meppen
den wollte man jüngst kidnappen.
Doch – als er gesichtet,
da hat man verzichtet.
Wer zahlt schon für so einen Deppen.
Meiner Meinung nach geschah es der Stadt Meppen ganz recht, daß sie als Inbegriff des Provinzlertums galt. Im direkten Vergleich mit Meppen war ja selbst Koblenz geradezu Las Vegas.
In meinem Antwortbrief fragte ich Michael, ob an dieser Schule in Lahnstein eine Lepra-Epidemie ausgebrochen sei. Und was er später mal machen wolle, nach dem Abitur. Zum Bund? Und dann studieren? Und wenn ja, was?
Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich schon wieder eine Eins in Latein geschrieben, und ich beschloß, es in diesem Fach künftig gemütlicher angehen zu lassen, was die Vokabelpaukerei betraf.
Bei Meyer kaufte ich das neue Kursbuch zum Thema Jugend. In einem der Beiträge hieß es:
Die Lord-Extra-Generation probt keinen Aufstand.
Wenn die existieren sollte, die Lord-Extra-Generation, dann hatte ich mit der nichts zu packen.
Laut Kursbuch gab es auch Bundeswehr-Fanclubs. Sieben Mann und ein Befehl! Ob die sie noch alle hatten? Ganze Heere von »Angepaßten« würden außerdem die Universitäten bevölkern.
Hätte ich nicht zehn Jahre früher auf die Welt kommen können? Mitten hineingeboren in die Protestgeneration?
Wiebke und zwei ihrer Freudinnen konstruierten im Garten einen Iglu mit Pappdach, aber so ungeschickt, daß einem schon beim Hinsehen schlecht wurde.
»Nun laß sie doch machen, die Mädchen«, sagte Mama. »Kümmer dich mal lieber um deine eigenen Freunde!«
Hätte ich ja gern getan, aber um welche?
Ganz spät lief im Ersten ein
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