Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
in den Pfingstferien ins Allgäu zu fahren, zu Tante Hanna und Fräulein Kunze. Platz hätten die da genug, und die Reise im Goggo stellte ich mir lustig vor, aber Ralle war skeptisch.
»Und wer bezahlt das Benzin?«
»Die Kosten würden wir uns teilen.«
»Klar, verstehe – ich bezahl die Kosten für die Hinfahrt und die Rückfahrt, und wir teilen uns die Kosten für den Ölwechsel auf halber Strecke irgendwo im Niemandsland ...«
Ich trank mein Bier aus und fuhr heim. Weshalb hatte Ralle bloß so meckerig und mißgünstig auf meine Idee reagiert? Dann sollte er doch zusehen, wo er in den Pfingstferien blieb.
Für eine Woche zog bei uns eine französische Austauschschülerin in Wiebkes Alter ein. Renée. Im Mai würden die Franzmänner dafür einen Besuch von Wiebke über sich ergehen lassen müssen.
Renée hatte dicke rote Lippen und sehr große, unter einem braunen Pullover verborgene Brüste, und ich kriegte jedesmal Zustände, wenn sie in meine Nähe kam. Einmal berührte sie auf dem oberen Flur im Vorübergehen mit ihrem linken Unterarm meine Hüfte, als ich mit Volker Tischtennis spielte.
Und da sollte man nicht wahnsinnig werden.
In Deutsch war Friedrich von Schillers »Maria Stuart« dran, ein politisches Trauerspiel mit einer schottischen und einer englischen Königin in den Hauptrollen. Wenn man den Zitaten in Georg Hensels schlauem Buch glauben durfte, hatte Goethe dazu angemerkt: »Mich soll nur wundern, was das Publikum sagen wird, wenn die beiden Huren zusammenkommen und sich ihre Aventuren vorwerfen.«
Aber was gingen unsereinen überhaupt noch die Querelen zwischen irgendwelchen alten Königshäusern an?
In konkret berichtete Hermann L. Gremliza von einer Debatte mit dem RAF-Anwalt Ströbele:
Als Christian Ströbele, einer der Initiatoren der »Tageszeitung«, mit uns über das Projekt diskutierte, machte er uns die bewußte Abkehr von der reflexhaften Politik der »traditionalistischen« Linken an einem Beispiel klar: Wenn etwa, wie kürzlich in Westberlin, ein Schüler Hakenkreuze oder »Jude verrecke« an die Tafel male, so müsse man darin »zunächst mal das Positive« sehen: Den Widerstand, die Auflehnung gegen die Autoritäten, gegen Lehrer und Eltern. Wir hofften, wir hätten ihn mißverstanden, und fragten nach. Nein, das meine er so.
Hakenkreuze gab es auch in Meppen hier und da zu sehen, hinten an der Turnhalle und an manchen Stromkästen und Verkehrsschildern, aber um darin zunächst mal etwas Positives zu erkennen, hätte ich dann doch wohl anders ticken müssen.
Papa war gerade hochgekommen, um ein Gebirge aus Stullen voller Tilsiterkäse und Jagdwurst zu dezimieren, als im Ersten ein Komiker auftrat, der seine aus Asien stammende Ehefrau anpries:
Also ich bin sehr zufrieden. Sie ist äußerst sauber, sie schmutzt nicht, wie der Asiate anundfürsich überhaupt nicht schmutzt. Ich mein ich bin sehr zufrieden, wissen Sie. – Ge, Mai Ling, sammer zufrieden, hahaha, ge, ja ...
Darüber mußte Papa so fürchterlich lachen, daß sich irgendwas in seinem Hals verkeilte, und es dauerte fast fünf Minuten, bis er dieses Stück von seinem Abendbrot hinausgehustet hatte.
Der Komiker hieß Gerhard Polt. Wieder so ein Name, den ich mir merken wollte.
Renée und Wiebke fuhren mit Wiebkes Klasse nach Bremen, und ich war einerseits froh und andererseits traurig: Wiebke war ich los, bis abends, aber eben auch Renée.
Zu Bett gehen und sich sagen: Wenn du aufwachst, wirst du ein Jahr älter sein.
Mit siebzehn hat man noch Träume
Da wachsen noch alle Bäume
In den Himmel der Liebe ...
Jajaja.
Siebzehn Jahr, blondes Haar,
So stand sie vor mir ...
Von Mama und Papa kriegte ich ein Stövchen geschenkt und zehn Ordner für meine Spiegel -Sammlung, von Oma Schlosser und von Oma und Opa Jever jeweils zwanzig Mark und von Tante Dagmar außer zwanzig Eiern auch noch einen Pullover und ein dtv-Taschenbuch: »Bismarck und der Imperialismus« von Hans-Ulrich Wehler. Meine anderen beiden Paten, Onkel Dietrich und Tante Gertrud, schienen meinen Geburtstag vergessen zu haben, aber das machte mir nicht viel aus, mit einem derartigen Haufen Schotter in der Tasche.
Bei Ceka entschied ich mich für mir »Abbey Road«, und das war keine schlechte Wahl. Da hatten die Beatles noch einmal ihr Äußerstes gegeben.
And in the end
The love you take
Is equal to the love you make ...
Das hörte sich gut an. Aber wieviel Liebe hatte ich denn schon gegeben? Und wer hätte sie haben wollen?
Aus Polen
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