Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
unten wieder weg ...«
Und in Gdingen, das Abendessen im Hotel Bristol: »Die Räume waren plüschig eingerichtet, mit alten Holzvertäfelungen, und da rannten rotbefrackte Kellner rum. Die vornehme Atmosphäre wurde nur dadurch etwas getrübt, daß wir direkt neben der Toilettentür saßen, und da wenn jemand durchging, dann kam jedesmal ein satter Schwall von Klomief angewabert.«
In Masuren seien sie durch die dunklen Wälder gefahren, wie im Traum, und hätten die Wodkaflaschen kreisen lassen und alte Lieder gesungen, zur Mundharmonika.
»Bei dem Wort Ostpreußen geht dem Deutschen das Gemüt durch«, sagte Onkel Walter.
Alte Lieder? Na, hoffentlich nicht das Horst-Wessel-Lied.
Tante Jutta berichtete von ihrer und Onkel Dietrichs Reise nach Eisenach. Wie grau da alles sei. Auch die Leute alle – grau, grau, grau! Textilien in primitivster Qualität, und für einen Pullover müsse ein DDR-Bürger zehn Prozent seines Monatslohns aufbringen. Und was da alles als Luxusgut gelte: Tee, Kaffee, Sahne, Gemüsekonserven, Bonbons, Schokolade, Käse, Strumpfhosen, Seife, Deos, Zahnpasta und sogar Obst! Und es gebe nur Schweinefleisch in der DDR; die Rinder und Kälber würden alle gegen Devisen an den Westen verkauft. Die schlechte Ernährung stehe den Leuten geradezu ins Gesicht geschrieben. »Die erinnern einen alle so ein bißchen an Kinder, die gern und oft Griesbrei essen und immer lieb den Teller leermachen – rund, aufgeschwemmt und übergewichtig. Aber was sollen sie auch essen! Alle Nahrungsmittel außer Brot, Zucker, Kartoffeln, Fett, Kohl, Nudeln und Mehl sind kaum zu kriegen, und so futtern sie sich halt durch die Kohlehydratberge!« Aber andererseits kümmerten sich die Menschen da viel mehr umeinander als wir hier im Westen. »Da existiert noch ein ganz anderer Zusammenhalt als bei uns, wo jeder sein eigenes Süppchen kocht und froh ist, auf niemanden angewiesen zu sein!« Aber dann wieder diese Enge und das ständige Beobachtetwerden: »Der Parteisekretär wohnt bei einem Verwandten im Haus!«
»Es ist sicher Quatsch«, sagte Onkel Dietrich, »aber manchmal hab ich das Gefühl, daß bei uns selbst das Gras grüner ist.«
Als ich ihr Gute Nacht sagen wollte, fragte mich Oma Schlosser: »Spielst du denn auch noch fleißig Klavier?« Die wußte offensichtlich nicht, daß ich meine Pianistenkarriere schon vor hundert Jahren aufgegeben hatte.
Und Onkel Jürgen sagte: »Meheneppteheu? Epptemehenie heuepptebeten!« Ob wir wüßten, was das bedeute. Ob das vielleicht Griechisch sei? Er wiederholte es noch dreimal, bevor er mit der Lösung herausrückte: »Mähen Äbte Heu? Äbte mähen nie Heu, Äbte beten!«
In einer Scharade stellten die Wiesbadener Schlossertöchter das Wort »Festbraten« dar und danach das Wort »Meistersinger«, und das konnte ich mir nun echt nicht noch länger mit ansehen.
»Was sagt’n die Uhr?«
»Halb eins durch.«
»Na denne, viel Vergnügen noch ...«
Es war die reine Wonne, in einem Hotelzimmerbett liegen zu dürfen und sich sagen zu können: Diesmal, Schlosser, bist du nicht ins Fettnäpfchen getreten. Yappaduh!
Trotzdem hatte ich am Morgen Kopfweh, das nicht besser wurde, wenn ich an das Tagespensum dachte: Frühstück mit der ganzen Sippe, dann die greulich lange Autofahrt zurück nach Meppen und den Rest des Tages Pauken für die Englischklausur am Montag.
An der Fahrstuhltür ließ Bodo Erhard mir den Vortritt: »Alter vor Schönheit!«
Dann kam auch Renate noch angewetzt. Das Gelage gestern, sagte sie, habe bestimmt mehr als tausend Mark gekostet.
Unvorstellbar. Was hätte denn ich wohl mit tausend Mark gemacht? Bücher gekauft wahrscheinlich. Und Platten. Das gesamte Programm von Zweitausendeins. Aber da wäre ich mit tausend Mark nicht ausgekommen.
Beim Frühstück ranzte Onkel Rudi Onkel Dietrich an: »Friß nicht soviel Wurst! Kein Wunder, daß du so fett bist!«
Der Kaffee sei ja ’ne ziemliche Plörre, sagte Papa.
Die Gastronomen hätten in Furcht und Schrecken gelebt, wenn Papa nicht Ingenieur geworden wäre, sondern Restaurantkritiker.
Weil der Peugeot nicht ansprang und Papa da noch dran herumschrauben mußte, fuhr ich in Mamas Auto mit, obwohl ich neben Wiebke sitzen mußte. Die zählte bei der Fahrt vor lauter Langeweile einmal die Waggons von einem Güterzug, den wir überholten: »... sechzehn ... siebzehn ... achtzehn ... neunzehn ...«
Um sie durcheinanderzubringen, quatschte ich ihr dazwischen: »Vierzig, neunzehn, sieben, dreißig,
Weitere Kostenlose Bücher