Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Wort. Und was mochte wohl ’ne »Chesterstange« sein?
Zwischen den Gängen mußte Robert Wellmann sich Insulin spritzen. Diabetiker sein, das hätte mir auch noch gefehlt. Sich selber Spritzen verabreichen und vor jedem Haps in irgendwelche schlauen Bücher kucken müssen.
Von Roberts Idee, durch ein Verbot aller Waffen den ewigen Frieden herbeizuführen, hielt Sabine Schlosser überhaupt nichts: »Was soll der Quatsch? Mit Scheren und Küchenmessern kann man genausogut morden!«
Bei unserer Kusine Sabine kam Robert auch mit dem Vorschlag nicht gut an, das Danken für Geschenke abzuschaffen, um Papier zu sparen und damit der Umwelt einen Gefallen zu tun: Manche Leute, sagte Sabine, würden lange überlegen, bevor sie ein Geschenk auswählten. »Aber der Herr Robert, der bedankt sich nicht dafür! O nein! Der pfeffert’s dann womöglich noch in irgendeine Ecke! Was hat ’n das mit Umweltschutz zu tun?«
Onkel Edgar säuberte sich mit seiner Serviette den ergrauten Schnurrbart, lehnte sich zu mir herüber und fragte mich nach meinen Erfahrungen auf dem Gebiet der freien Liebe. »Ist das heutzutage nicht grundlegend anders als in meiner Jugend? Früher sind die jungen Leute nicht alle gleich wie die jungen Hunde miteinander ins Bett gegangen.« Er legte eine Kunstpause ein und fuhr mit erhobener Stimme fort: »Errötend folgt er ihren Spuren und ist von ihrem Gruß beglückt – und heute heißt es: ›Kommste mit? Wollen wir mal eben? Ex und hopp? Im Gebüsch?‹ Und wenn man sich darüber wundert, als älterer Mensch, dann ist man nicht mehr up to date.«
Was hätte ich dazu sagen sollen?
»Käse schließt den Magen!« rief Onkel Dietrich.
Das hatte ich schon mal von Häuptling Majestix vernommen, in »Asterix und der Arvernerschild«.
Auf dem Weg zum Klo wurde ich von Onkel Jürgen gestoppt und dazu aufgefordert, einen Satz mit Bochum und Köln zu bilden, und weil mir keiner einfiel, sagte Onkel Jürgen: »Er Bochum die Ecke, um zu pinköln!«
Großer Gott.
Papa hielt eine Rede, in der er Oma Schlossers Lebensstationen Revue passieren ließ: Umzug von Schildesche nach Lötzen in Ostpreußen im Juni 1912, Besuch der Höheren Mädchenschule, 1918 Besuch der Reifensteiner Frauenschule in Westpreußen, wo Oma auch die ersten Grundbegriffe der Kompostwirtschaft erlernt habe, Familiengründung, Umzüge und 1945 die Flucht. »Da habt ihr viel zurücklassen müssen, du vor allem deinen geliebten Garten und Vater seine große Bibliothek, darunter auch eine in Schweinsleder gebundene Prachtausgabe von Goethes Faust, die Vater dir, soweit ich weiß, zum zehnten Hochzeitstag geschenkt hatte und die uns Kindern, unter Androhung schrecklicher Strafen, unbeaufsichtigt anzufassen streng verboten gewesen ist. Und daran haben wir uns auch gehalten!« Jetzt verschoß Papa selber einen strengen Blick. »Jedenfalls ist dieses Buch natürlich viel zu schwer fürs Fluchtgepäck gewesen, und ihr habt nur eine Bibel mitnehmen können.«
»Und ein Gesangbuch!« rief Onkel Rudi.
In Dortmund, führte Papa weiter aus, habe Oma Schlossers Vater, also Uropa Grote, einmal zu ihm gesagt: »Deine Mutter ist ein Engel!«
Oma winkte ab. »Nun mach’s mal nicht zu dicke ...«
Papas Rede endete mit den Worten: »Liebes Muttchen, gemessen an dem hohen Alter, das du erreicht hast, und all der Plackerei für die Deinen muß man dankbar dafür sein, daß du geistig noch so rege und auch körperlich noch so rüstig bist. Möge der liebe Gott dir noch lange Gesundheit schenken!«
Dann überreichte Papa Oma eine Perlenkette, für die er und seine Geschwister zusammengelegt hatten, und es wurde Beifall geklatscht.
Nun wollte Oma aber auch noch was loswerden. Sie habe niemals große irdische Besitztümer angestrebt, aber einmal sei sie doch sehr nachdenklich geworden, lange nach der Flucht, als ihr ein Hausgast die Frage gestellt habe: »Ja, konnten Sie denn damals gar keine Möbel mitnehmen?«
Das Gelächter hatte sich noch nicht gelegt, als Mama mit dem Vortrag einer vielstrophigen Lobeshymne auf Oma begann.
Führten Dich nicht wunderschöne Reisen
Zweimal sogar um die halbe Erde?
Ungezählt sind alle die Besuche
Bei den vielen Schäfchen Deiner Herde.
Dennoch bleibt Dir Zeit für manche Hobbies,
Teppichknüpfen, Stricken und Klavier.
Wer geht in der Woche zweimal singen,
ist so kunstbeflissen – außer Dir?
In diesen Versen betete Mama sämtliche Versatzstücke der bürgerlichen Ideologie der Besitzstandsmehrung und einer
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