Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Arbeiter erschossen hatte. »Und verantwortlich dafür war der sozialdemokratische Berliner Polizeipräsident Zörgiebel.«
Tjaja, die Sozis. Die waren ja auch 1914 schon kriegsbegeistert gewesen, von Karl Liebknecht mal abgesehen.
Aber: Kommunist werden? Die hatten sie doch auch nicht alle. Blinder Gehorsam, Kaderschulung, Personenkult, Deportationen, Arbeitslager, Schauprozesse, Massenerschießungen ... und dann noch der Hitler-Stalin-Pakt! Wie da den Kommunisten im Exil wohl die Augen übergegangen waren.
Gustav konnte die Namen aller Brasilianer auswendig hersagen, die bei der WM ’66 gegen Bulgarien gespielt hatten: »Gylmar, Santos, Bellini, Altair, Henrique, Denilson, Lima, Garrincha, Alcindo, Pelé und Jair.«
»Und die Bulgaren?«
»Warte mal ... Naidenov im Tor ... in der Abwehrreihe Gaganelov, Vulzov, Penev und ... hier, warte, Dingens ... Schalamanov, Mittelfeld Zchechoev und Kitev und im Angriff Kolev, Jakimov, Asparuchov und Dermendjiev. Die haben im 4-2-4-System gespielt, und die Brasilianer haben 2:0 gewonnen, durch Tore von Pelé und Garrincha. Und der Schiedsrichter war übrigens ein Deutscher, Karlheinz Tschenscher.«
Im Wohnzimmer entkorkte Tante Dagmar eine Flasche Rotwein, und Gustav steckte seinen Kösel an.
Auf dem Porträtgemälde, das über der Glotze hing, sah Opa ein bißchen so aus wie Herbert Wehner, obwohl er dem überhaupt nicht ähnlich gewesen war, aber der Maler Arthur Eden Sillenstede, dem Opa Modell gesessen hatte, galt als Berühmtheit, zumindest im Jeverland.
Aus den Umschlägen der eingegangenen Beileidsschreiben schnitt ich die Briefmarken aus und löste sie mit Wasser ab. Dafür hatte ich mir einen Topf auf den Wohnzimmertisch gestellt. Die wollte ich Volker zum Geburtstag schenken, denn diese Idi sammelte ja solchen Mist.
»Zeig mal her«, sagte Tante Dagmar, als ich mit einer der Marken hantierte, und sie schnupperte an der Rückseite. »Mina Rickels!«
»Wie, Mina Rickels?«
»Diese Marke ist von Mina Rickels angeleckt worden. Sieh mal nach. Ich kann das am Speichelgeruch erkennen.«
Es dauerte ein bißchen, bis ich die Marke dem betreffenden Umschlag zuordnen konnte, aber dann zeigte sich, daß Tante Dagmar ins Schwarze getroffen hatte.
»Sag ich doch, daß ich das kann. Es ist eben jeder Mensch einmalig, ob du jetzt den Fingerabdruck nimmst oder den Geruch der Spucke.«
Auch ’ne Kunst, durch das Schnüffeln an Briefmarkenrückseiten den Absender zu erkennen. Vielleicht hätte Tante Dagmar als Spürnase im Bundeskriminalamt anheuern sollen.
Gustav zückte dann ein Taschenbuch, aus dem er allen möglichen Regenbogenpressenkäse über den Schah von Persien und dessen Frauen Soraya und Farah Diba zitierte.
Um einer armen Frau zu helfen, verschenkte Farah ihre Lieblingsbrosche.
Der übelste und dickste Schleim kam da zutage, man konnt’s nicht anders nennen, oder allenfalls noch Hofberichterstattung.
DER SCHAH: Jeden Abend erzähle ich meinen Kindern ein Märchen.
Auf dem blankpolierten Mahagoni-Tischchen im Grünen Salon der Villa Suvretta in St. Moritz liegen über ein Dutzend bunte Bücher.
»Es sind Märchenbücher«, erklärt Hausherr Schah Reza Pahlevi von Persien und nimmt einige in die Hand ...
»Jeden Abend, bevor unsere Kinder zu Bett gehen, lese ich ihnen daraus die eine oder andere Geschichte vor«, sagt uns der Kaiser ...
Diese Schweinebacke. Und die politischen Gefangenen, kriegten auch die jeden Abend was Schönes vorgelesen?
»Du kannst vollkommen beruhigt sein«, sagte Gustav, »an der Geschichte stimmt kein einziges Wort. Diese zu Herzen gehenden Hintergrundberichte hat sich die Redaktion der betreffenden Klatschpostille alle selber ausgedacht.« Und dann las er hochvergnügt weiter vor:
»Leider habe ich nur hier im Urlaub die Zeit zu solch einer abendlichen Lesestunde mit meinen Kindern. In Teheran nehmen mich die Staats- und Regierungsgeschäfte zu sehr in Anspruch ...«
Gemeint war wohl das Unterschreiben von Todesurteilen, wandte ich ein, und da kriegte Oma zuviel: »Ach was! Wenn der in seinem Land die Terroristen bekämpft, dann ist das ja wohl nur vernünftig! Ich weiß gar nicht, was ihr alle habt gegen diesen Mann! Das ist doch ’ne ganz stattliche Persönlichkeit!«
»Ach, Mutti«, sagte Tante Dagmar, die vor Lachen schon ganz nasse Augen hatte, und Gustav entwickelte die Theorie, daß die Deutschen eben immer noch schmerzlich das Haus Hohenzollern vermißten und sich infolgedessen an Zeitungsenten aus
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