Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
alle Ewigkeit büßen?«
»Bis in alle Ewigkeit, oja!«
»Aber selbst die irdischen Gesetzgeber haben den Richtern doch ein gewisses Maß auferlegt, das sie beachten müssen ...«
»Ja, aber das ist, wie Sie ganz richtig bemerkt haben, ein irdisches Maß, und das göttliche Maß ist von anderer Beschaffenheit.«
»Das heißt, wenn ich dem göttlichen Willen zuwiderhandle, indem ich, äh, gegen eines der Zehn Gebote verstoße, dann muß ich mich darauf gefaßt machen, daß ich nach meinem Tod mit einer Strafe bedacht werde, die ewig andauert?«
»Ja. Genau. Denn Sie hätten ja zu Ihren Lebzeiten auf Gottes Wort hören können.«
Dieser Typ regte mich auf. »Finden Sie das denn gerecht? Eine Strafe, die ewig währt, für eine Tat von ganz beschränkter Dauer?«
»Mein junger Freund«, sagte der Theologe und nahm lächelnd eine der wenigen Kurven, die es auf der Strecke gab, »Ihr Sinn für Gerechtigkeit ehrt Sie, aber es existiert auch eine höhere Gerechtigkeit, auf die wir keinen Einfluß ausüben können.«
Was war denn das für ein idiotisches Argument? Ich versuchte es andersherum: »Und was ist gerecht daran, wenn ein Säugling bei einem Hausbrand stirbt? Was hat denn dieser Säugling sich dann vorzuwerfen?«
»Überhaupt nichts. Wenn er stirbt, dann ist sein Tod Gottes Wille gewesen.«
»Ach? Und wie kommt Gott zu dem Entschluß, ein unschuldiges Baby sterben zu lassen, das gegen keines der Zehn Gebote verstoßen hat?«
»Da müssen Sie den lieben Gott fragen, mein junger Freund«, sagte der Theologe. »Hier vorne an der Kreuzung lasse ich sie raus. Viel Erfolg!«
Ich hielt den Daumen raus und dachte nach über den Pfaffenquatsch. Ewig büßen zu müssen, ewig, ewig, ewig, das konnte doch wohl nicht wahr sein. Und für was? Für ein Diebstahlsdelikt? Oder für einen Seitensprung? Und was sollte das für eine höhere Gerechtigkeit sein, wenn der himmlische Vater Ankläger und gleichzeitig Richter war, in Personalunion?
Big Brother is watching you.
»Was würden Sie denn von einem Rechtsstaat halten, der keine Revisionsanträge kennt? Und keinen Gnadenerweis?« Das hätte ich diesen Deppen mal fragen sollen.
Wie Mama mich abends manchmal getröstet hatte, als ich noch klein gewesen war, das kam mir in den Sinn: »Morgen ist alles wieder gut.« Und meistens war dann ja auch alles wieder gut gewesen.
Aber irgendwann würde es kein Morgen mehr geben, weder für Mama noch für mich noch für sonst irgendwen.
Und wieder hielt ein Käfer an, und zwar einer mit jeverschem Kennzeichen. JEV. Und es traf sich, daß der Fahrer in Jever in der Mühlenstraße wohnte, direkt neben Oma und Opa. Besser ging’s ja wohl überhaupt nicht, zumal mir der Fahrer auch noch Zigaretten anbot und die meiste Zeit über die Klappe hielt, so daß ich mich entspannen konnte.
In Jever saß Oma mit Tante Dagmar und Gustav beim Abendbrot, und es wunderten sich natürlich alle über meinen unangemeldeten Besuch.
»Und das ist dein ganzes Gepäck?« fragte Oma. »Hast du denn überhaupt ’n Schlafanzug dabei? Und ’ne Zahnbürste?«
Daran hatte ich nicht gedacht.
»O Junge nee, was du immer so für Ideen hast!«
Ich rief dann in Meppen an, um Papa Bescheid zu sagen. Der konnte ja im Grunde froh sein, daß er die Bude mal für sich ganz alleine hatte.
Tante Dagmar deckte für mich auf. Es gab Toast mit Rührei und Schnittlauch. »Und was willst du trinken? Tee, Kakao, Mineralwasser, Malzbier?«
»Malzbier.«
Auf dem Küchenschrank lag ein Leitz-Ordner mit Kondolenzbriefen, und wo sonst Opas Teller gestanden hatte, brannte auf dem Eßtisch eine Kerze.
Oma in ihrem schwarzen Kleid. »Wie gut, daß in dieser schlimmen Nacht deine Mama hier war«, sagte sie. »Dafür bin ich unendlich dankbar!«
Während Oma und Tante Dagmar die Küche aufräumten, durfte ich in Gustavs Plattensammlung stöbern. »Weihnachten auf hoher See« von Freddy Quinn und eine Beatles-LP, die irgendwie von der Hörzu -Redaktion zusammengestellt worden war:
Die zentrale Tanzschaffe der weltberühmten Vier aus Liverpool.
Ich legte eine Platte von Ernst Busch auf, diesem Arbeitersänger, und der schmetterte mit seiner Blecheimerstimme ein Kampflied nach dem andern:
Wir gedenken des ersten Mai!
Der herrschenden Klasse blut’ges Gesicht,
der rote Wedding vergißt es nicht,
und die Schande der SPD!
Das bezog sich, wie Gustav mir erläuterte, auf eine Demonstration vom 1. Mai 1929, bei der die Polizei das Maschinengewehrfeuer eröffnet und 29
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