Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
gespielt. Ich hätte alle beide genommen. Wozu sich entscheiden? Ein Apartment voller Bücher in Manhattan bewohnen statt ein Kinderzimmer in einem Meppener Einfamilienhaus, geistig arbeiten und sich davon ernähren können, Single sein, verschiedene Geliebte haben und mit denen in Museen, Restaurants und Kinos gehen: Hätte das für ein erfülltes Leben nicht genügt?
Auf dem Zeltplatz brannte ein Lagerfeuer, und drumherum wurde gebechert, geklampft und gesungen. »Dem Karl Liebknecht«, schrumm, schrumm, »dem haben wir’s geschwooooren ... der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand ...«
»Klingt wie das Pfeifen im Walde, wenn auch nicht ganz so melodisch«, sagte Hermann.
Die Troubadixe hatten aber noch viel fragwürdigeres Zeug im Repertoire. Bei manchen Texten drehte sich mir bald der Magen um.
Sind so kleine Hände
Winz’ge Finger dran
Darf man nie drauf schlagen
die zerbrechen dann ...
Kitsch komm raus, du bist umzingelt.
In unserem Zelt ging eine Flasche Lambrusco von Hand zu Hand. Hermann nahm einen großen Schluck und fühlte sich dazu animiert, aus dem Stegreif ein Lied anzustimmen: »Sind so kleine Hirne, is’ nix drin und dran ... darf man nie was fragen, die zerbrechen dann ...«
Und auch Heike sang was: »Rooo-saaa-munde, schenk mir dein Sparkassenbuch ... Rooo-saaa-munde, fünftausend Mark sind genug ...«
Weil’s mich im Schlafsack fröstelte, zog ich mir meinen Pulli über.
Werner riet mir davon ab: Die Wärme halte sich desto besser, je weniger man im Schlafsack anhabe.
Soso. »Mir ist aber jetzt schon wärmer als eben.«
»Ja, aber morgen früh wird’s dir ohne den Pullover wärmer sein als mit.«
»Das heißt, ich müßte ihn dann ausziehen, um mich aufzuwärmen?«
»Nein. Das heißt, daß du ihn gar nicht erst anziehen solltest, wenn du’s heute nacht warm haben willst.«
»Will ich ja. Und deshalb hab ich den Pullover angezogen.«
»Ich glaube, du verstehst nichts von Physik.«
»Nee, aber von Pullovern. Und ich habe die Erfahrung gemacht, daß Pullover einen wärmen und nicht auskühlen.«
»Jungs, ihr solltet eure Diskussion beenden«, sagte Heike. »Mir fallen schon die Döppen dicht ...«
Das war ein emsländischer Ausdruck für Müdigkeit.
Auf der Rückfahrt setzte ich mich im Reisebus neben Heike. (»Ist hier frei?«) Werner hatte noch irgendwas in Köln zu erledigen.
Vor uns saß eine junge Frau, die rauchte, und das paßte einem Fahrgast nicht, der gerade einstieg. Der blaffte sie im Ton eines Feldwebels an: »Machen Sie die Zigarette aus!«
Darauf die Frau, ganz gelassen: »Nee, mach ich nich.«
Und darauf der Feldwebel: »Sie machen jetzt die Zigarette aus!«
Die Frau: »Befehlen laß ich mir von Ihnen überhaupt nichts.«
Feldwebel: »Entweder machen Sie jetzt sofort Ihre Zigarette aus, oder ich vergesse mich!«
Frau: »Da wären Sie nicht der einzige, der Sie vergessen will!«
Das war zuviel für den Feldwebel. Er ging zur Attacke über, und ich sprang auf und packte seine Handgelenke und blaffte ihn meinerseits an, daß man sowas doch auch einvernehmlich regeln könne.
Da ließ er von der Raucherin ab und verzog sich schmollend in den rückwärtigen Busbereich.
Ich wiederum wunderte mich über meine Courage. Es war nicht unbedingt eine liebe alte Gewohnheit von mir, in die Raufhändel randalierender Feldwebel einzugreifen, aber diesmal hatte ich’s getan, spontan, energisch und erfolgreich. Und das in Gegenwart von Heike Schmitz! Dank meiner Ruhmestat mußte ich bei der doch schlagartig in einem viel höheren Ansehen stehen als zuvor.
Anders als Heike unterließ ich es allerdings, mir selber auf der Fahrt ’ne Zigarette anzustecken. Man brauchte den Feldwebel dahinten ja nicht noch künstlich zu provozieren.
Heike rauchte Selbstgedrehte der Marke Drum. De echte Halfzware uit Holland.
Wir unterhielten uns viel über Kafka. Das sei der einzige Schriftsteller, der jemals ihr Interesse erweckt habe, sagte Heike. »Das Buch ist die Axt für das gefrorene Meer in uns. Das ist auch so’n Satz von Kafka.« Und wie merkwürdig seine Beziehung zu Frauen gewesen sei: »Hat sich immer wieder verlobt, aber nie geheiratet.«
Lesen müsse ich auch die Romane und die Tagebücher.
Hinter Rheine schlief Heike ein, und ihr Kopf sank auf meine Schulter. Nicht bewegen! Diesen Zustand wollte ich so lange wie möglich genießen. Eine anschmiegsame Freundin haben: So fühlte sich das also an.
Leider wachte Heike kurz vor Lingen wieder auf, weil der Depp von
Weitere Kostenlose Bücher