Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Busfahrer wegen irgendwas gehupt hatte. Sie räkelte sich und sagte gähnend: »So bei kleinem könnten wir jetzt auch mal ankommen.«
Zuhause nahm ich ein Bad, und dann schnappte ich mir das Telefonbuch, doch es war aussichtslos, Heikes Adresse herauszufinden. Dafür wohnten in Meppen zu viele Leute, die Schmitz hießen. Ich mußte anders vorgehen. Aber wie?
Hermann fragen? Ob der was wußte? Unwahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen. Ich rief bei ihm an: »Martin hier. Sag mal, ich, äh, wollte Heike Schmitz ’n Buch von mir ausleihen, und jetzt hab ich gar nicht die Adresse von der. Kannst du mir da irgendwie weiterhelfen?«
»Heike Schmitz? Nee, keine Ahnung. Oder warte mal – ich glaub, mein Bruder ist ’ne Zeitlang mit deren älterer Schwester gegangen. Soll ich ihn mal fragen? Der is’ gerade hier.«
»Wenn’s dir nichts ausmacht?«
Eine Minute später hatte ich die Adresse. In Esterfeld wohnte Heike, in der Versener Straße. Nächster Schritt: Heike besuchen, mit dem Buch über Kafkas böses Böhmen unterm Arm. »Ich dachte, ich borge dir das mal aus ...« Und dann in ihrem Zimmer über Kafka fachsimpeln und nebenbei eruieren, was es mit diesem Werner auf sich hat.
Aber nicht sofort. Erst noch einmal überschlafen, den Plan.
Hinfahren wollte ich natürlich erst am Nachmittag. Vielleicht aßen die da schon um zwölfe, das gab’s ja in manchen Familien, und ich brauchte viel Zeit, um meinen Charme zu entfalten.
Vorher mußte ich noch das Mittagessen verdauen. Bohnensuppe mit Mettwurst. »Unsere Festtagsgerichte hast du dir ja freiwillig entgehen lassen«, sagte Mama.
Duschen. Rasieren. Kämmen. Frische Unterwäsche anziehen (man wußte ja nie) und ’n sauberes Hemd und ’ne heile Cordhose und Socken ohne Löcher.
Schuhe putzen? Schuhe putzen.
Ein letzter Blick in den Spiegel.
Brille putzen? Brille putzen.
Und ab durch die Mitte.
Halt! Buch vergessen.
Zurück ins Haus, Treppe rauf, Buch geholt, Treppe runter, aufs Rad, Herzogstraße hoch, über den Bahndamm, Hasestraße lang, über die Hubbrücke, rechts ab in Richtung Ems, über die Brücke, links ab, den Schullendamm entlang, unter der Umgehungsstraße durch und dann die vierte Straße rechts.
Und wenn Heike gar nicht da war? Oder gerade nicht in der geeigneten Verfassung für Überraschungsbesuche? Oder wenn sie sich mit diesem Werner im Bett lümmelte?
Oder aber sie bat mich herein, kochte ’ne Kanne Tee für uns und verwickelte mich in ein Gespräch über Kafka, Freud und Woody Allen und den Kummer darüber, viele Jahre lang niemanden gekannt zu haben, mit dem man sich so herrlich unterhalten konnte wie mit mir. »Wir sollten viel mehr Zeit miteinander verbringen, findest du nicht auch?«
Von allen anderen Szenarien, die ich mir ausgemalt hatte, hob sich dieses letztere dummerweise durch seine besondere Unwahrscheinlichkeit ab.
Rad abstellen und abschließen, zur Haustür gehen und auf den Klingelknopf drücken.
»DING-DONG-DANG«, machte die Klingel.
Wegrennen? Zu spät.
Es kam jemand zur Tür und öffnete.
Heike. Sie wirkte verdutzt. »Hey«, sagte sie, »was verschafft mir denn diese Ehre?«
»Ich hab gedacht, ich bring dir mal ’n Buch über Kafka vorbei ...«
»Na, dann komm rein, oder hast du keine Zeit?«
»Dochdoch!«
Ich wurde an einer Wendeltreppe vorbei ins Wohnzimmer geführt, wo eine Platte von den Rolling Stones lief. Heikes Eltern schienen nicht da zu sein.
She comes in colours everywhere,
she combs her hair,
she’s like a rainbow ...
»Willst du auch ’ne Tasse Tee?«
»Ja, gern!«
Heike ging in die Küche, und ich setzte mich aufs Sofa. Eben noch unter der Dusche und jetzt im Allerheiligsten der Familie Schmitz. Ein Kamin mit gerahmten Fotos auf dem Sims, durch die gläserne Terrassentür der Blick auf einen säuberlichst gepflegten Garten, eine Fernsehprogrammzeitschrift, akkurat ausgerichtet auf einem vermutlich eigens für das Ablegen von Fernsehprogrammzeitschriften gedrechselten Tischchen, und nirgendwo das kleinste Körnchen Staub.
»Denn zeig doch mal her«, sagte Heike, nachdem sie mir den Tee serviert hatte, und ich gab ihr das Buch. Sie blätterte darin.
Und nun, mein Lieber, dachte ich, teilt sie dir gleich mit, daß sie in einem Viertelstündchen ihren festen Freund erwarte, doch sie las sich fest und drehte sich dabei ’ne Zigarette. Das konnte Heike blind.
Ich blieb bei ihr, bis um halb sieben ihre Eltern wiederkamen, von einem Ausflug nach Holland. Wir hatten nicht nur
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