Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Kühlschrank – Schwartau Extra – wuchsen graue Schimmelpilze heraus.
»Faß bloß nichts an«, rief Hermann. »Hier lauern Cholera und Beri-Beri!«
Nahrung wollten wir lieber irgendwo in der Stadt aufnehmen. Auf dem Weg zur Wohnungstür kam uns Professor Atomschnauze entgegen, in Unterhosen, und ermahnte uns, keinen Menschen reinzulassen. »Wenn’s hier schellt, dann isses der Vermieter, und dem schulden wir noch drei oder vier Monatsmieten oder watt. Alles klar?«
Ich zeigte Hermann den Maschsee und von außen das NDR -Funkhaus. Wir gingen auch noch mal zur Passerelle, in der Hoffnung, dort seriösere Gestalten anzutreffen als unsere Gastgeber, aber an der Stelle, wo wir den Pflanzenwilli kennengelernt hatten, kauerte nur ein über und über tätowiertes und offenkundig sturzbetrunkenes Pärchen, das sich stritt.
Hermann war dafür, in einem Supermarkt Koteletts und Bier einzukaufen, ins Quartier zurückzukehren und ein Dinner einzunehmen, das sich gewaschen habe.
Die Tür öffneten wir mit der Gabel, und dann wollten wir die Koteletts in die Pfanne hauen, aber dafür mußten wir erstmal eine finden und sie aus dem zugemüllten Waschbecken bergen und einer gründlichen Reinigung unterziehen.
»Kannst du hier irgendwas im Stil von Palmolive erblicken?« fragte Hermann.
Dreckiges Geschirr gab’s zur Genüge, aber kein Spüli.
Hermann schrubbte wie ein Irrer an dem Pfannenboden herum, ohne jedoch die Relikte alter Mahlzeiten rückstandslos beseitigen zu können. In Ermangelung unverschimmelter Butter brieten wir die Koteletts in einer Pfütze Sonnenblumenöl aus einer Flasche, die ich in einem Karton unter dem Waschbecken aufgestöbert hatte, und weil es nirgendwo saubere Teller und Besteck gab, fraßen wir alles mit der Hand aus der Pfanne, wie die Troglodyten.
»O Jesus«, sagte Hermann und nahm einen enormen Zug aus seiner Bierflasche. »Jetzt müßten uns mal unsere Eltern sehen!«
Als bedenklich erachtete er auch die Tatsache, daß im Badezimmerregal ein Mittel gegen Krätzmilben herumstand.
Den Abend schlugen wir uns in einer Bierstube um die Ohren, wo Rumsbumsmusik lief.
Beim Frühstück – Toast mit Margarine und Streichkäse – hatte Professor Atomschnauze eine dralle Blondine auf dem Schoß sitzen. Ich hatte mir nach dem Aufstehen die Zähne geputzt und rauchte dann am Küchentisch ’ne selbstgedrehte Zigarette.
»Puh«, sagte die Blondine. »Hier stinkt’s nach Zahnpasta!«
Die war echt unterbelichtet.
Eine angebrannte Scheibe Toast schmiß Rübezahl aus dem Fenster.
Irgendwie, das ließ er uns später wissen, sei es Professor Atomschnauze gelungen, die Mietkaution zu versaubeuteln.
Ich rief Tante Dagmar an. »Ich bin hier mit ’nem guten Freund in Hannover, und wir wohnen bei dessen Schwester, und ich wollte mal fragen, ob wir im Funkhaus vorbeikommen können?«
Das durften wir. In der Kantine gab uns Tante Dagmar eine Cola und eine Fanta aus und erzählte uns, daß sie an diesem Tisch mal mit dem Fernsehansager Dénes Törzs zusammengetroffen sei. »Kann ich hier Platz nehmen?« habe sie ihn gefragt. »Oder ist das der Prominententisch?« Und darauf habe Törzs erwidert: »Entschuldigen Sie, ich wußte nicht, daß Sie prominent sind!«
Wir glaubten ja gar nicht, sagte sie, wer einem hier alles über den Weg laufe. Oder von wem man so Post bekomme. Von dem Schriftsteller Walter Kempowski zum Beispiel. Das sei ein ganz schräger Vogel. Dessen Briefkopf sollten wir mal sehen: »Da steht als Absender: Krempowski, Klimbimsky, Kompotzki und lauter solcher Quatsch …«
Oder Rolf Hochhuth, eine Primadonna vor dem Herrn!
Wir staubten eine Menge Bücher ab, unter anderem Lieder und Hymnen von Friedrich Hölderlin und eine »Deutsche Geschichte« von einem Professor aus der DDR . Der schrieb nicht »700 v. Chr.«, sondern »700 v. u. Z.«, also »vor unserer Zeitrechnung«, was ich albern fand.
»Kuck doch mal nach«, sagte Hermann, als wir uns mit all den Büchern auf einer Bank am Maschsee niedergelassen hatten, »was der Typ über den Mauerbau schreibt.«
Blätter, blätter, blätter …
Am 13. August wurde in einer gemeinsamen und koordinierten Aktion der Staaten des Warschauer Paktes die bis dahin offene Staatsgrenze der DDR nach Westberlin unter Kontrolle gestellt und befestigt.
Und Ende. So als wäre das eine ganz normale Angelegenheit gewesen. Und als wäre kein Mensch verzweifelt aus dem Fenster gesprungen. Die Literaturliste in diesem Buch fing mit den Werken von Erich
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