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Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)

Titel: Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Henschel
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und wie er das gemeint habe und ob’s nicht besser gewesen wäre, andere Worte zu finden, und ob das an seiner falschen Erziehung liege, weil ja das Patriarchat die frühkindlichen Regungen unterdrücke. »Und niemals kommt auch nur der kleinste Fitzel raus bei diesen Diskussionen! Man redet und redet, und am Ende ist man so schlau wie zuvor. Oder so stulle.«
    In der dritten Fahrstunde brachte ich den Wagen auf der Herzogstraße insgesamt fünfmal zum Stillstand, und beim Anfahren vor der Ampel verwechselte ich die Pedale und blieb zum sechsten Male liegen.
    »Kupplung langfam kommen laffen …«
    Halt’s Maul, du Hund!
    Mit dem Dichter Max Herrmann-Neiße hätte mir der Wolfert im Deutsch-Leistungskurs nicht zu kommen brauchen. Dieser Dichter hatte sich an seinem Elend aufgegeilt.
    Alles ist Vergehn und stetig Sterben,
    immer bröckelt Kalk an jeder Wand,
    Blumen welken, Kelche werden Scherben,
    sinnlos rinnt der Sand durch meine Hand.
    »Sterbelied« hieß das Gedicht. Prost Mahlzeit. In den Strophen ging’s von Mal zu Mal morbider zu. Da stellte das lyrische Ich sich vor, wie es wäre, als Toter von niemandem vermißt zu werden, auch nicht von der eigenen Frau.
    Höchstens hängt dein Bild noch in dem Zimmer,
    wo ein andrer jetzt mit ihr sich freut.
    Und es färbt des Abends sanfter Schimmer
    Einen Mund, den sein Verrat nicht reut.
    Wieso Verrat? Dagegen, daß ’ne Witwe sich wieder liierte, hatte ja nicht mal die Katholische Kirche was einzuwenden. Aber Max Herrmann-Neiße war da wohl anderer Meinung gewesen. Der hatte sich sogar zusammengereimt, daß seine Witwe – oder eben die seines lyrischen Ichs – ihrer neuen Flamme schmutzige Lügen über ihn auftischen werde:
    Höchstens weist sie noch auf deine Züge,
    andre aufzustacheln im Vergleich,
    und in ihrer kümmerlichen Lüge
    bist du allzu spät an Wollust reich.
    Klare Sache: Seiner Frau hatte es keinen Spaß gemacht mit ihm im Bett, aber ihren künftigen Liebhabern würde sie alles mögliche weismachen, um es noch besser besorgt zu kriegen von denen. Das war doch krank. Sich in sowas hineinzusteigern. Was hatte er denn erwartet von seiner Frau, dieser Gipskopf? Daß die sich nach seiner Beerdigung in Sack und Asche hüllte?
    In der letzten Strophe zerfloß das lyrische Ich dann noch einmal in Selbstmitleid.
    Bist du ein Gespenst für deinen Erben:
    Lachend hüllt er sich in dein Gewand.
    Alles ist Vergehn und stetig Sterben,
    sinnlos rinnt das Jahr durch jede Hand.
    Alles Kacke – Deine Emma. Ob dieser Max Herrmann-Neiße sadomasochistisch veranlagt gewesen war? Oder nekrophil? Und dann dieser weihevolle Ton. Und die Niedertracht, allen anderen die Freude zu vergällen mit dem Unken über das stetige Bröckeln und Welken und Sterben. Es gab doch auch Blumen! Und frischen Kalk, der nicht bröckelte oder rieselte!
    Mama war wieder da und erzählte von Tante Giselas geglückter Flucht. Sie hätten nachts auf leisen Sohlen einen Haufen Kleider und das Allernötigste im Auto verstaut und seien um drei Uhr morgens abgezwitschert, ohne daß die Mutter von dem Dellbrügge irgendwas mitgekriegt habe. »Was der wohl für Knopplöcher machen wird, wenn er merkt, daß Gisela verschwunden ist!« Die wohne jetzt fürs erste bei ’ner Kusine in Wiesbaden.
    Für den achten Oktober habe Tante Gisela einen Spediteur bestellt, der ihre restlichen Sachen holen solle. Es stehe allerdings zu erwarten, daß der Dellbrügge dann Schwierigkeiten machen werde. Wenn der hier anrufe, dürfe ihm um Himmels willen keiner sagen, wo Gisela stecke.
    Und die habe dem noch Geld geliehen. Das werde sicher nicht einfach sein, das zurückzubekommen.
    Warum hatte sich dieser Krösus denn überhaupt Geld von ihr pumpen müssen?
    »Gisela soll bloß froh sein, daß sie den Knaben nicht geheiratet hat«, sagte Mama.
    Heiraten. Wozu? Man konnte doch auch ohne Trauschein zusammenleben, und bei ’ner Trennung mischte sich der Staat nicht ein. Oder die Kirche. Und wenn ich so an all die Ehen in der buckligen Verwandtschaft dachte … oder an den Dauerzoff zwischen Mama und Papa …
    Wie schon vier Jahre zuvor trafen Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß vor den Bundestagswahlen in einem Fernsehstudio zur sogenannten Elefantenrunde zusammen, nur daß diesmal Strauß der Kanzlerkandidat war und Kohl die zweite oppositionelle Geige spielte.
    Wir brauchten den langen Atem vor der »Gechichte«, sagte Kohl, »um die Durststrecke der deutschen Teilung, wie

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