Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
gewußt. 1976 war er als Kanzlerkandidat nur knapp an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt, und niemand glaubte ihm die Heuchelei von der »Männerfreundschaft«, die ihn mit Strauß verbinde.
Als ich noch einmal ins Wohnzimmer ging, um Gute Nacht zu sagen, bekam ich eine Äußerung von Frau Döbel mit: »Irgendein Hobby muß man eben haben, sonst wird man schwermütig oder geht fremd.«
Und der Lohmann erzählte, daß er seiner Sekretärin bald mal wieder eine senfgefüllte Praline unterjubeln werde. »Monatelang hab ich die Gute schon angefüttert, und die rechnet mit nichts Bösem mehr …«
Nach den letzten Hochrechnungen lag die FDP bei 10,6 %. Dunnerlüttchen.
Peu à peu hatte ich mich durch die Werke von Sigmund Freud gearbeitet. »Studien über Hysterie«, »Massenpsychologie und Ich-Analyse«, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« und jetzt »Totem und Tabu«. Darin fabulierte Freud über die Ermordung eines »Urvaters« durch eine Brüderschar in der Frühgeschichte der Menschheit, ohne irgendwas davon beweisen zu können, und da hatte ich genug von diesen Fischer-Taschenbüchern mit ihrem holzhaltigen Papier.
57,6 % der Bayern hatten die CSU gewählt, immerhin 0,3 % weniger als vier Jahre zuvor, und für die CDU war das mieseste Bundestagswahlergebnis seit 1953 herausgekommen. Damit konnte Strauß seine Ambitionen aufs Kanzleramt begraben, ein für allemal.
Im Pub, wo wir am Montagabend den Sieg über Strauß begossen, sagte Heike, daß sie sich frage, ob ihr Vater ein Alkoholiker sei, denn der trinke jeden Abend zwei Flaschen Bier vor dem Fernseher.
»Das ist doch nicht besonders viel«, sagte Hermann. »Ich hab hier sogar schon mein drittes Bier am Wickel!«
»Ja, aber du trinkst nicht jeden Abend Bier. Mein Vater schon. Und ich selber bin auch nicht ganz ohne. Wenn ich allein daran denke, wieviel Geld ich jeden Monat für Drogen aus dem Fenster schmeiße …«
»Wieso? Wieviel denn? Und für was für Drogen?«
»Na, bestimmt so an die fünfzig Mark für Alkohol und Nikotin und Shit.«
»Ach so«, sagte Hermann. »Wenn das für dich Drogen sind …«
»Was ’n sonst?«
Auch ich war nikotinsüchtig geworden. An dieser Einsicht führte kein Weg vorbei. Ohne Drum-Tabak, Gizeh-Blättchen und Feuer hätte mir was gefehlt, und ungefähr alle zwei Stunden kriegte ich »Lungenschmacht« (wie Heike das nannte).
In Deutsch war Rilke dran.
Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen …
Zur Strafe für diese Gedichtzeile hätte er dazu gezwungen werden sollen, zehn Jahre lang in einem Obdachlosenasyl das Klosett zu putzen.
Dann doch besser was Expressionistisches:
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut.
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut …
Über das Entzweigehen der Dachdecker müsse er jedesmal schmunzeln, sagte der Wolfert.
An dem Tag, an dem die Spedition Tante Giselas Habe aus Melle abgeholt hatte, rief der Dellbrügge bei uns an. Der hatte auch schon bei Oma Jever angerufen und bei Tante Luise und bei Tante Dagmar und bei Tante Therese, um Tante Giselas Aufenthaltsort zu ermitteln, und sie alle hatten ihm die kalte Schulter gezeigt. Ätschbätsch!
Mama, Papa und die Döbels waren abends mit den Lohmanns zum Fleischfondue verabredet, und Papa maulte beim Schlipsbinden über die Fleischfresserei und über die verplemperte Zeit, in der er Nützlicheres tun könne, als sich bei fremden Leuten den Wanst zu füllen.
»Das sind keine fremden Leute«, sagte Mama. »Die Lohmanns sind unsere einzigen näheren Bekannten in Meppen, und Katharina Döbel ist eine meiner ältesten Freundinnen. Und du hast da übrigens einen Rotweinfleck auf deinem Schlips.«
»Wo?«
»Da unten!«
»Wo unten?«
»Da!«
Wegen Saskia freute ich mich auf den theoretischen Fahrschulunterricht, aber diesmal fehlte sie.
Und wenn sie gekommen wäre, Martin Schlosser, was hättest du dann getan? Außer ihren Nacken anzustarren? Was hättest du ihr schon sagen können? »Gestatten: Martin! Ich habe zwar schon eine feste Freundin, doch ich finde, du und ich, wir könnten mal spazierengehen und Händchen halten, aber schön weit weg von Esterfeld, damit meine Freundin uns nicht sieht …«
Die Döbels reisten zur nächsten Station ihrer Europatournee. Mama wäre sicher lieber mitgefahren, als tonnenweise
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