Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Apfelmus zu kochen und einzufrieren.
Von Mamas Fleiß zeugten auch die ellenlangen Apfelschalenspiralen im Komposteimer.
Vor meiner nächsten Fahrstunde war ich schon auf das Schlimmste gefaßt, doch es lief alles wie geschmiert, sowohl das Anfahren als auch das Schalten, und der Wesel wunderte sich. »Haft du geübt?«
Nein, hatte ich nicht. Ich war selbst ganz verdutzt.
Abends rief der Dellbrügge wieder an, um auszukundschaften, wo und wie er Tante Gisela erreichen könne, doch bei Mama biß er auf Granit.
»Meine Schwester möchte von Ihnen einfach nicht mehr belästigt werden«, sagte sie und legte auf. »Was bildet dieser Fatzke sich eigentlich ein?«
Die DDR hatte den Zwangsumtauschsatz für Reisende aus dem Westen auf 25 Mark pro Tag erhöht. Das war auch nicht gerade ’ne Werbung für den Sozialismus. Touristen schröpfen und nebenbei noch Millionenkredite im kapitalistischen Ausland aufnehmen.
In der Reihe rororo-aktuell war ein Band mit Reden, Schriften und Tagebüchern von Rudi Dutschke erschienen, und es standen auch die Ausrufe von Leuten drin, die bei einer Kundgebung des Berliner Senats im Februar 1968 Dutschke zu erkennen geglaubt hatten: »Lyncht die Sau!« – »Schlagt ihn tot!« – »Kastriert das Judenschwein!« – »Dutschke ins KZ !«
Das waren wahrscheinlich die gleichen, die behaupteten, daß den Juden in den Konzentrationslagern kein Härchen gekrümmt worden sei.
Hans Magnus Enzensberger, der 1968 im Kursbuch geschrieben hatte, in der BRD herrsche der Faschismus, und die Apo müsse »an den großen gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen« festhalten, um »das imperialistische System von innen her bedrohen« zu können, gab jetzt die Zeitschrift Transatlantik heraus, mit der Rubrik »Journal des Luxus und der Moden«, für Leser, die »in Buchhandlungen genauso zu Hause sind wie in Delikatessenläden« und »nicht irgendeinen Wagen fahren, sondern einen ganz bestimmten …«
»Leute, die, wenn sie mit Dom Perignon anstoßen, ›Proust‹ sagen«, schrieb Hermann L. Gremliza dazu in konkret .
Auf einem Kärtchen aus Frankfurt, wo sie auf der Buchmesse zu tun hatte, teilte Tante Dagmar mir mit, daß sie »voll im Streß« sei. Und im übrigen sei es saukalt.
Was war besser? Streß auf der Buchmesse oder Ödnis in Meppen?
Ich hätte es ja vorher nicht für wahr gehalten: Auch mit einer Freundin konnte man sich langweilen. Heike und ich, wir hingen oft nur schlaff herum.
Unerfreulich waren meist auch unsere politischen Diskussionen. Sie sagte, daß sie sich da gehemmt fühle, weil ich viel mehr wisse als sie.
Einmal spielte ich ihr das drollige »Vier-Parteien-Lied« von Insterburg & Co. vor und kündigte es als hochintellektuelle Analyse des Parteienstaats an. Vom Plattenteller sangen die vier Insterburger dann natürlich nur:
Die SPD , juchhee, juchhee, juchhee!
Die CDU , huhu, huhu, huhu …
Und Heike war stinksauer, weil sie dachte, daß ich mich damit über ihre politische Unbildung lustig machen wolle.
Äffz.
Für die ARD hatte Rainer Werner Fassbinder »Berlin Alexanderplatz« verfilmt, einen Roman von Alfred Döblin. Es ging um einen Kriminellen, Franz Biberkopf, der nach seiner Haftentlassung im Berlin der Weimarer Republik herumirrte.
Mama hatte bereits von der ersten Folge die Neese pleng. »Also, ehrlich, mir ist dieser Kram zu schummrig und konfus …«
Für Mama durfte im Fernsehen nichts schummriger und konfuser sein als ein durchschnittlicher Serienkrimi. Aber weshalb machte sie dann nicht solange was anderes? Sie hätte sich zum Beispiel im Meppener Kunstkreis umtun können, statt jeden Abend das Fernsehprogramm zu bekritteln.
Was Mama zusagte, war dann ein Beitrag des ARD -Korrespondenten Rolf Seelmann-Eggebert aus England, denn den kannte sie noch aus ihrer Zeit im hannöverschen Funkhaus. Da sei er »Rölfchen« genannt worden.
In Deutsch nahmen wir Gedichte von Georg Trakl durch.
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder …
Das hatte Trakl im Ersten Weltkrieg geschrieben. Ich fragte mich, ob sich das nicht ein bißchen zu vornehm anhörte, verglichen mit dem MG -Feuer an der Front.
In einem anderen Gedicht feierte Trakl die Trunkenheit:
Am Abend hört man den Schrei der Fledermäuse.
Zwei Rappen springen auf der Wiese.
Der rote Ahorn rauscht.
Dem
Weitere Kostenlose Bücher