Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Irgendwo einkehren?
»Nee, kein Alkohol am Steuer«, sagte Hermann.
»Oder Astrid besuchen?«
»Mit der läuft’s grad nicht so toll …«
Die Haselünner Straße hoch, die Bahnhofstraße runter, über die Hubbrücke, dann rechts und wieder links …
Am Neuen Markt hielt Hermann an und stellte den Motor aus. »Wenn du ’ne Idee hast, spuck sie aus. Fürs Rumkurven ist das Benzin zu teuer.«
Leider hatte ich keine Idee. Unter so einem schmierigen grauen Winterhimmel wie dem, der sich über Meppen wölbte, konnte einem aber auch unmöglich irgendwas Gescheites einfallen.
Es war wie in der einen Geschichte von Kafka, wo der Schutzmann nach dem Weg gefragt wird:
»Gibs auf, gibs auf«, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.
Nur daß wir natürlich nichts zu lachen hatten.
Hermann setzte mich vor der Haustür ab und fuhr in sein eigenes tristes Heimatkaff zurück.
In aller Klarheit hatte Tucholsky schon 1925 vorausgesagt, was mit der Wahl des greisen Generalfeldmarschalls Hindenburg zum Reichspräsidenten drohe.
Hindenburg ist: Preußen. Hindenburg ist: Zurück in den Gutshof, fort aus der Welt, zurück in die Kaserne. Hindenburg bedeutet: Krach mit aller Welt, unaufhörliche internationale Schwierigkeiten, durchaus begründetes Mißtrauen des Auslandes, insbesondere Frankreichs gegenüber Deutschland. Hindenburg ist: Die Republik auf Abruf. Hindenburg bedeutet: Krieg.
Und genauso war’s gekommen. Nur in Meppen hatte keiner was davon gemerkt, und niemand fand’s beschämend, daß der SV Meppen noch 1981 in einem nach Hitlers Steigbügelhalter Hindenburg benannten Stadion spielte.
Mama schwärmte von Amsterdam. Die Grachten, die vielen malerischen Altstadtbauten und die Galerien und Museen! »Allein fürs Reichsmuseum hätte man ’n ganzen Monat aufwenden müssen oder noch mehr …« An einem Wochenende sei das nicht zu schaffen.
Aber wenn das holländische Reichsmuseum in Meppen gestanden hätte, wäre Mama da bestimmt auch nicht jeden Tag hingelaufen.
Unter der Führung eines Oberstleutnants hatten zweihundert Soldaten der sogenannten Guardia Civil das spanische Parlament okkupiert, mit Knarren herumgefuchtelt, die Abgeordneten als Geiseln genommen und sich erst nach sechzehn Stunden ergeben.
»Die wollen eben ihren alten Franco wiederhaben«, sagte Hermann. »Wer weiß, vielleicht putscht ja demnächst auch die Bundeswehr! Die Militärs auf der Hardthöhe sind garantiert schon ganz neidisch …«
Bei der Matheprüfung hielt mich der Gedanke aufrecht, daß es die letzte in meinem Leben wäre, wenn ich sie nicht total verhaute. Die allerallerletzte!
Ich übersprang die Aufgaben, die mir zu schwer waren, und widmete mich den etwas leichteren, aber auch die verursachten mir fast ’ne Gehirnhautentzündung.
Heiko Meier ließ mich abschreiben. Der Wiepert merkte nichts davon; der saß an seinem Pult und las die Frankfurter Rundschau .
Am Fahrradständer traf ich auf Heike, und wir gingen zum Pub, einen zischen. Es hatte keinen Sinn mehr, so zu tun, als ob wir uns spinnefeind wären.
Unterm Tisch stieß sie mich viermal sanft mit dem Fuß an. »Das bedeutet: Ich hab dich lieb.« Und sie war noch nicht fertig: »Heute abend könntest du mich übrigens besuchen. Meine Alten sind ab sieben in der Sauna, und wenn du nichts dagegen hast, erwarte ich dich in einem durchsichtigen Nichts von Negligé …«
Und damit hatte sie mir nicht zuviel versprochen.
Die Großdemonstration gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf war von einem Landrat, der in der Region das Sagen hatte, kurzerhand verboten worden. Ein Leitartikler der Zeit , Hans Schueler, fand das gut, denn die Grünen und die Bürgerinitiativen für Umweltschutz, die dazu aufgerufen hatten, würden Gewalt propagieren:
Demonstrationsfreiheit bedeutet ihnen allein die angemaßte Befugnis, den Staat zu erpressen. Dem braucht sich niemand zu beugen. Da gibt es auch an den zivilen Befehlshaber über Brokdorf nur eine Empfehlung: Landrat, bleibe hart!
Es war mir neu, daß jeder Landrat, wenn er das für angemessen hielt, ein Grundrecht suspendieren durfte.
Die Demonstration sollte trotzdem stattfinden, aber Heike und Hermann wollten nicht mit: Die hatten »Fieber« (Heike) beziehungsweise »anderweitige Verpflichtungen« (Hermann).
Brokdorf, das lag irgendwo bei Itzehoe in Schleswig-Holstein. In Meppen starteten frühmorgens mehrere Kleinbusse, vom Jugendzentrum aus. Man mußte
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