Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
einziger Kriegerverein. Der Landarbeiter hat stramm zu stehen vor dem ›Herrn‹ und ihn mit dem alten militärischen Dienstgrad anzureden. Niemand vermag sich zwischen Anarchie und Knechtung ein Mittelding vorzustellen.
Das hörte sich dann doch ein bißchen anders an als Papas nostalgische Heimatliteratur mit ihren murmelnden Bächen und wogenden Kiefernwäldern. In diesen Büchern stand auch nichts über die Erziehung zum Kadavergehorsam in den preußischen Kadettenanstalten. Bei Tucholsky konnte man nachlesen, wie da der Alltag ausgesehen hatte:
Prügel. In die Fresse schlagen. Die glatte Lage. Eisernes Lineal auf weiche Kinderhände. Spitze Federn in die Kehrseite. Ein Maikäfer wird an einen Faden gebunden, dem Opfer zum Schlucken gegeben und wieder herausgezogen. (Strafverschärfung: der Maikäfer wird vorher in Tinte gebadet.) Stundenlanges Strammstehen. Herunterstopfen sämtlicher Tellerabfälle einer ganzen Tischgemeinschaft. Würgen mit der Halsbinde, bis der Gewürgte ohnmächtig wird. Von den sexuellen Anomalien soll hier nicht gesprochen werden. Das ungefähr waren die Grundpfeiler der gerühmten deutschen Heereserziehung.
Und nun mußte ich zum Eignungstest, der auch wieder im Kreiswehrersatzamt vonnstatten ging. Fragebögen ausfüllen, zwischen vierzig anderen Rekruten:
Was war für Sie in Ihrem bisherigen schulischen oder beruflichen Werdegang wichtig, was war vorteilhaft oder nachteilig?
Da hätte ich ja einen ganzen Roman schreiben müssen. Wie hätte man das denn zusammenfassen sollen? Wichtig: Zeugnisse. Vorteilhaft: Einsen. Nachteilig: Sechsen. Oder wie?
Sogar die Freizeitbeschäftigungen und die dafür aufgewendete Wochenstundenzahl sollte man angeben. Und:
Welche beruflichen und persönlichen Ziele wollen Sie in den nächsten 5 – 10 Jahren erreichen?
Persönliche Ziele? Im Unterschied zu beruflichen? Was konnte damit gemeint sein? Eheschließung? Hausbau? Kindersegen?
Lächerlich leicht war der »Wortanalogie-Test«:
groß – klein = warm – ?
Da sollten wohl die ganz Doofen ausgesiebt werden.
Auf dem Klo hatte einer die Bild -Zeitung liegengelassen.
Charles – Heiratsantrag im Gemüsebeet …
Verbrecher immer gemeiner …
Warum Frauen fremdgehen …
Bauarbeiter vertrieben Besetzer aus einem Haus …
Beim Bund würde ich voraussichtlich ganze Scharen von Bild -Lesern kennenlernen, und zwar näher, als mir lieb sein konnte.
Zum Rest der Tests gehörte einer in Elektrotechnik, und da wußte ich natürlich nichts, aber das konnte mir ja auch egal sein.
Heike, Astrid, Hermann, Henrik, Axel und Andreas quaterten auf einmal alle von einem Urlaub, den wir nach dem Abi antreten sollten, auf der holländischen Insel Texel. Darüber beratschlagten wir im Eiscafé »Fellatio«.
Mit dem Fahrrad sollte es zwei Tage dauern bis Texel. Für unser Gepäck hätten wir allerdings ein Auto gebrauchen können. Die Zelte hinten rein und allen Krimskrams, und einer müßte sich dann ans Steuer setzen.
Henriks Ente war dafür zu klein.
Ich fragte Mama, doch die wollte ihre Karre nicht rausrücken. »Wir haben dir den Führerschein finanziert, und das genügt! Wenn du unbedingt Auto fahren willst, bitte! Aber dann mußt du dir selbst eins kaufen.«
Papa hatte sich von Mama zu einem Ausflug nach Amsterdam breitschlagen lassen: Freitag hin, Sonntag zurück. Es geschahen noch Zeichen und Wunder.
Beim Spazierengehen an der Ems fing Heike wieder mal zu mosern an: Sie kriege nicht genug »Bestätigung« von mir und müsse sich die dann bei anderen holen.
»Was willst ’n du für ’ne Bestätigung?«
»Da fragst du noch! Denk doch mal nach! Was wünscht ’ne Frau sich wohl von ihrem Freund für ’ne Bestätigung?«
Ja, watt denn? Sollte ich ihr bestätigen, daß sie gut aussah? Oder daß ich keine Augen für andere Frauen hätte?
Heike blieb stehen. »Wenn dir da nichts einfällt, dann laß dich begraben, Schlosser«, sagte sie.
Auch ich blieb stehen. Und dann ging ich weiter.
Heike folgte mir nicht.
Sendepause. Ich hatte Erholung nötig. Immer nur Genörgel! Sollte das die große Liebe sein?
I was so easy to defeat, I was so easy to control,
I didn’t even know there was a war …
Wenn ich Heike mal ’ne Zeitlang zappeln ließ, würde sie vielleicht zur Besinnung kommen.
Ganz unverhofft stand plötzlich Hermann auf der Matte. Er sei mit dem Wagen seines Vaters in der Stadt, und wir könnten was unternehmen.
Ich stieg ein, und wir fuhren los, aber wir hatten keinen Plan.
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