Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
abzustreifen.
Einmal hatten wir so lange Canasta gespielt, daß ich nachts trotz übervoller Blase träumte, ich dürfe nicht aufstehen und aufs Klo gehen, weil ich noch keine fünfzig Punkte auf der Flosse hätte.
Einmal provozierte Hermann durch das Frühstücken von Dosenthunfisch ein längeres Wortgefecht, das in der noch jungen Hermann-Gerdes-Forschung als »Brechmittel-Disput« zu Buche schlug.
Einmal fing ich mir von Heike einen Anpfiff ein, weil ich auf der fieberhaften Suche nach meinem Portemonnaie das halbe Zelt zerlegt hatte.
Einmal verliefen Hermann, Heiner uns ich uns in den Dünen in ein Vogelschutzgebiet und wurden von wutschäumenden Möwen attackiert.
Einmal kam ’ne Wespe angeflogen und stach Henrik in den Rücken, an einer Stelle, wo er sich selber nicht kratzen konnte.
Einmal schrieb ich Julia eine Karte (ohne es Heike auf die Nase zu binden).
Einmal trank ich Axel in einem Café versehentlich die Cola weg.
Einmal steckte ich den großen Onkel in die eisigkalte Nordsee.
Und weit mehr als einmal streifte Heiner im Gespräch mit Hermann die Piesacker.
Die sollten in der letzten Nacht zum Einsatz kommen, wenn Hermann schlief, und das hätte vielleicht auch hingehauen, wenn er nicht durch die vielen Ansagen in Alarmbereitschaft versetzt worden wäre. Still und leise hatte Heiner sich so weit vorgepirscht, daß er die Handschellen zuschnappen lassen konnte, doch da bäumte Hermann sich urplötzlich wie ein Mustang auf und teilte brüllend Keile aus. Andreas, Axel, Henrik und ich stürzten uns ins Handgemenge mit hinein, aber trotz der hohen Überzahl mißglückte unser Coup. Um ein Naturwunder wie Hermann hoppzunehmen, hätten wir Verstärkung von der GSG 9 anfordern müssen. Der hätte auch auf dem Jahrmarkt reüssieren können, als Ringer oder Eisenbieger.
»Ihr seid mir schon so Pappenheimer«, sagte er und pustete sich die zerpflückten Ponyhaare aus der Stirn.
Auf der Rückreise machten wir einen Zwischenstopp in Amsterdam. Gleich hinterm Hauptbahnhof mit einem Fährboot übersetzen und dann noch ein Stückchen Fuß- bzw. Radweg, und man war am Campingplatz Vliegenbos, dem größten Kiffertummelplatz der westlichen Hemisphäre, wenn es stimmte, was uns Henrik versprochen hatte, und es sah ganz danach aus. Und es roch auch so.
In der Innenstadt tänzelten Hare-Krishna-Domestiken in roten Kitteln über das Trottoir, die Hände auf den Schultern des Vordermanns, und psalmodierten vor sich hin.
Hare Krishna, Hare Krishna … Krishna, Krishna … Hare Hare …
Alle kahlgeschoren, bis auf einen Bürzel, und mit Smiley-Grimassen, um Glückseligkeit zur Schau zu stellen, aber aussehen taten sie nur debil.
»Die sind nicht erleuchtet«, sagte Hermann. »Die sind gehirngewaschen.«
Die Passanten schenkten ihnen überhaupt keine Beachtung.
Hier und da sah man auch Leute mit Kopfhörern, die mit sogenannten Walkmen verkabelt waren. So konnten sie sich außer Haus volldudeln lassen.
Ohne böse Absicht gerieten wir in den Rotlichtdistrikt, wo sich die Damen vom horizontalen Gewerbe in bonbonrosa illuminierten Schaukästen räkelten.
Daneben lockten auch dunklere Etablissements. Unmittelbar vor uns schraubte sich ein Mann aus einem hamsterkistenartigen Verschlag heraus und machte sich die Hose zu, und durch den Türspalt fiel das Straßenlicht auf eine abgekämpfte Frau, die ihr Mieder ordnete, während die nächsten Freier schon Schlange standen. Die gaben sich da scheint’s die Klinke in die Hand.
Au Backe.
»Rauf auf die Mutter«, sagte Heiner halblaut. »Immer feste druff!«
Hermann stellte seine Lockerheit unter Beweis, indem er an Henrik, Heiner, Axel, Andreas und mich appellierte: »Na, meine Herren? Wie wär’s mit so ’ner Gunstbezeugung? Wollt ihr hier nicht auch mal euern Mann stehen?«
Heike fand das gar nicht ulkig, und so erlebten auch die andern mal, wie ihr der Kragen platzte. Hermann und Heiner waren danach recht kleinlaut.
Den späteren Abend verbrachten wir bei solidem Gras und Amstel-Bier auf dem Zeltplatz. Henrik nahm sein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch und entwickelte die Theorie, daß Kiffer eine bessere, weil zukunftsträchtigere Lebenseinstellung hätten als Alkoholkonsumenten und auch mehr für die Gesellschaft täten und sozial viel verträglicher seien.
Wie um das zu untermauern, reckte ein Besoffski seine Rübe aus einem der Nachbarzelte und bölkte irgendwas Unzusammenhängendes und Dissonantes in die Landschaft. Erst nach einer
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