Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
servierte einen politischen Sänger, der sich nun leise und weise ins Familiäre poetisch zurückzieht.
Das stimme alles gar nicht:
Wenn es an diesem schönen Abend im Garten einen Dichter gab, dann war es Fritz Raddatz. Triefende Dichtung und banale Wahrheit: Sogar der zerdichtete tinten-tonige Rotwein im Weinkrug war ein lyrisches Gesöff aus dem Born der Phantasie meines Besuchers. Ich trank gar nichts – und Fritz vom Feuilleton trank an diesem Abend bei mir ein einziges Glas Apfelsaft. Ich schenkte es ihm ein, aus einer normalen Karaffe vom Supermarkt: ein Papp-Container mit dem Aufdruck »Mindestens 50 % Fruchtsaftgehalt«.
So funktionierte also der Kulturjournalismus: Apfelsaft in Wein verwandeln, irgendwas zusammenseiern und sich die fehlenden Zitate aus dem Bein schneiden.
Grandios war dafür ein im Spiegel dokumentierter Sponti-Spruch:
Die DKP ist die Vorhaut der Arbeiterklasse; wenn’s ernst wird, zieht sie sich zurück.
Heike rannte sich die Hacken ab nach Inventar für ihre Wohnung und war restlos damit ausgelastet. Kaum daß wir noch mal zusammen ausgegangen wären oder einen durchgezogen hätten. Keine Ruhepause, keine Pfänderspiele, kein Geschnetzeltes und kein Bier auf Hawaii.
Im konkret -Sonderheft zur Buchmesse stand ein Gedicht von Volker von Törne.
Was ist geschehn? Der Wind schlug um
Der Himmel klirrt von früher Kälte
In Leitartikeln kriecht der Krieg. Schon
Sind die Marschbefehle unterschrieben
Die Hinterhöfe sind umstellt
Ich hör ein Rauschen in der Luft
Was wolln wir tun mit all den Waffen
Die sie auf unser Dach, auf unsre Schultern
Unsre Haut gehäuft? Was braucht
Die Liebe? Nichts. Nur dich und mich
So fing es an. Auf unsre Haut gehäufte Waffen: War das Kitsch? Oder ein sinnfälliges Bild für die Zerreißprobe, die so ein Rüstungshaushalt für den Einzelnen bedeutete?
In welche Dunkelheit läßt du dich fallen?
Ich habe Angst um dich und deinen Atem
Um deine Schädelknochen unter dünner Haut
Ich dachte an die Äderchen an Heikes Schläfen. Nicht robust genug für den Atomkrieg.
Heb deinen Kopf und laß uns reden
Eh uns ein Stiefel auf die Kehlen tritt
Etwas weit hergeholt. Um mit der Kehle unter einen Stiefel zu geraten, hätte man sich in der Bundesrepublik an einer dafür geeigneten Stelle hinlegen und auf einen gewaltbereiten Stiefelträger warten müssen. Doch mit sowas hielten sich die Kriegstreiber ja gar nicht mehr auf. Die waren bereits beim millionenfachen Versaften von Zivilisten angelangt.
Daß ich nicht schlafen kann, muß nichts
Bedeuten. Und wärs die Stunde, da Raketen
Von fernen Rampen steigen: eh unsre Hände
In die Kälte greifen, laß mich noch einmal
Deinen Atem spüren auf der Haut
An und für sich nicht verkehrt, von der Raketenproblematik zur Liebe überzulaufen. Was hätte man dem Wettrüsten denn sonst entgegensetzen können?
Die Haare hatte ich mir absichtlich nicht geschnitten. Dazu mußten mich die Typen beim Bund schon persönlich auffordern. Alles andere wäre mir wie Duckmäusertum vorgekommen.
Als ich mein Geraffel beieinander hatte, fuhr Papa mich zum Bahnhof und erteilte mir einen Ratschlag: »Wenn dir irgendeiner dumm kommt und dich zusammenscheißt, egal ob das ’n General ist oder ’n Offizier oder was auch immer der für militärisches Lametta auf der Brust hat – dann verziehst du keine Miene, sondern du denkst dir dein Teil und stellst dir diesen Menschen einfach in Unterhosen vor! So hab ich das damals jedenfalls gehalten, in der Hitlerjugend und auch später in der Wehrmacht. Da kann einer auf ’m noch so hohen Roß sitzen: Wenn du dir den in Unterhosen vorstellst, dann bist du dem innerlich über!«
Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich so viel davon hätte, meine Vorstellungswelt mit einem Haufen unterhosentragender Generäle zu bevölkern.
Für unterwegs hatte ich mir ein Buch der Pädagogin Alice Miller gekauft: »Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst«. Wenn ich mich nicht total in mir täuschte, war ich selber ein begabtes Kind und hatte viel gelitten auf der Suche nach meinem wahren Selbst.
Manchmal muß ich mich fragen, ob es uns überhaupt je möglich sein wird, das Ausmaß der Einsamkeit und Verlassenheit zu erfassen, dem wir als Kinder und folglich auch, intrapsychisch, als Erwachsene ausgesetzt waren oder sind.
Die Autorin stützte ihre Thesen mit Kindheitsgeschichten von Ingmar Bergman:
So mußte er z. B., wenn seine Hosen naß waren, den ganzen Tag
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