Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
ein rotes Kleid tragen, damit alle es sehen konnten und er sich schämen mußte.
Und so wurde aus ihm ein Psychokrüppel, aber eben auch ein großer Künstler. Paßten Kreativität und seelische Gesundheit unter einen Hut?
Umsteigen mußte ich in Münster, Düsseldorf und Mönchengladbach. Komisch, daß ich da zuvor als alter Gladbach-Fan noch nie gewesen war. Und jetzt hatte sich die ganze Fußballseligkeit verflüchtigt.
Todt ist nun die jugendliche Welt …
Ich hatte lange genug Aufenthalt für einen Gang zum nächsten Buchladen. Dort lag ein Periodikum mit dem vielversprechenden Titel Kampftruppen aus, und darin wurde ein gewisser »Major Dr. Blau« zitiert, der »im psychologischen Laboratorium des Reichskriegsministeriums« tätig gewesen sei. In seinem Werk »Geistige Kriegführung« hatte dieser Major die Deutschen von der Schuld am zurückliegenden Weltkrieg freigesprochen:
In der Schuldübernahme lag eine schwere moralische Erniedrigung, die das deutsche Volk für alle Zeiten mit einem Makel belasten sollte, ein Zustand, der mit den Gesetzen von den moralischen Größen unvereinbar ist …
Die Redaktion der Kampftruppen stimmte dem Autor zu und sprach ihn und alle seine Vorgesetzten gleich auch noch von der Schuld am Zweiten Weltkrieg frei:
Besser kann wohl das Streben nach Erhaltung des Friedens durch die damaligen Dienststellen des Kriegsministeriums nicht bewiesen werden. Leider war alles vergebens …
Dreimal laut gelacht! Das nationalsozialistische Kriegsministerium als Friedensbewegung! Dann hätten sich die Nazis also wider Willen dazu gezwungen gesehen, Wien und Prag zu besetzen, in Polen und Frankreich einzumarschieren, England zu bombardieren und die Sowjetunion zu überfallen?
Das Impressum strotzte von Oberstleutnants und Generalleutnants der Bundeswehr. Und von denen sollte ich mich herumkommandieren lassen?
Mit einem Sonderzug voller Rekruten ging’s über die niederländische Grenze, der Knechtschaft entgegen, was die Passagiere aber nicht zu kratzen schien. Die meisten waren am Gackern und ein paar sogar am Schunkeln. Die verwechselten das Ganze wohl mit ’nem Betriebsausflug.
Das erste, was ich auf dem zappendusteren Kasernengelände lernte, war, daß man den Ortsnamen Budel »Büdel« aussprach. Mit Taschenlampen ausgerüstete Ordner führten uns Frischlinge zur Kantine, und nach der Essenausgabe erfolgte auf einem mäßig erhellten Exerzierplatz die Einteilung in sogenannte Züge. Wenn ich mich nicht irrte, zerfielen Divisionen in Bataillone, Bataillone in Kompanien, Kompanien in Züge und Züge in Gruppen. Ich gehörte zur 2. Gruppe des 1. Zugs und fühlte mich wie Obelix als Legionär: »Melde gehorsamst, 1. Legion, 3. Kohorte, und den Rest hab ich vergessen!«
Acht Mann in einer Stube. Das waren in meinem Fall ganz erträgliche Zeitgenossen, soweit man das dem ersten Eindruck nach sagen konnte. Ein redseliger Kölner, ein langer Lulatsch aus der Eifel
– zwei Meter fünf und damit entschieden zu lang für sein Bett –, ein Heini, der von seinem herrlichen Heimatort Stadtlohn schwärmte, ein Essener, ein Emsdettener und außer mir noch zwei kontaktscheue Brillenschlangen saarländischer Provenienz: Dehnert, Krottke, Selcke, Radunsky, Meyering, Meinert und Westerkamp.
Der Lulatsch klemmte sich beim Ausziehen einen Finger in seinem Hosenreißverschluß ein und sagte doch tatsächlich: »Autschi!« Wie ein kleines Kind.
Ich hatte mir das Doppelstockbett rechts neben der Stubentür ausgesucht, weil die Tür nach rechts aufging, so daß man dahinter nicht sofort sichtbar war, wenn jemand reinkam. Schlafen wollte ich aber lieber im oberen Bett, damit ich mich morgens nicht von unten hochquälen mußte.
Das Tischgespräch drehte sich um die Frage, ob es wahr sei, daß sie einem bei der Bundeswehr »Hängolin« in die Suppe täten, ein pharmazeutisches Mittelchen zur Schwächung der Libido.
Eine andere Frage war die nach der Härte der Ausbilder. Der eine Stuffz habe die Bemerkung fallengelassen: »Der erste Zug hat schlechte Karten.«
Ein Uffz war ein Unteroffizier und ein Stuffz ein Stabsunteroffizier.
»Is’ doch klar«, sagte der Münsteraner, »die werden uns schleifen, bis uns das Wasser im Arsch kocht. Das is’ deren Job. Und wenn einer von uns abnippelt, dann kabeln sie den Eltern: ›Sorry, kleine Panne, aber ’n bißchen Schwund is’ immer!‹«
Bruhaha.
Ich nahm mir mein Buch vor.
Der Bochumer glotzte auf den Umschlag, legte die Stirn in Furchen und
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