Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Weswegen, war unklar; der Anrufer hatte den Sachverhalt irgendwie nicht auf die Reihe gekriegt.
Auf dem Bürgersteig vor dem Haus, zu dem wir hinsollten, zappelte und schrie eine junge Frau, und zwei Männer versuchten sie zu beruhigen. Die war außer Rand und Band. Ich dachte gleich: Wenn wir die mitnehmen müssen, geht’s nur mit Betäubungsspritze. Der eine der beiden Männer rief uns aber zu, daß wir ins Haus laufen sollten: »Da muß irgendwas Schreckliches drin passiert sein! Die Frau hier hat’s gesehen! Die steht unter Schock!«
Durch die offene Haustür fiel elektrisches Licht. Und in diesen Höllenrachen sollten wir eintauchen?
»Tief Luft holen«, sagte Gerlinsky und ging mit dem Erste-Hilfe-Koffer voran.
Erst einmal den Eingangsbereich checken: Läufer, Deckenleuchte, Garderobenständer, Schuhregal, Kommode, Bodenvase, Wandspiegel, Heizkörper, Telefon …
Dann knickte der Flur nach links ab, und da lag was. Eine Leiche. Die Leiche einer alten Frau. Oder lebte die etwa noch?
Gerlinsky suchte nach dem Puls und schob ihr die Augenlider hoch.
Ich hatte vorher noch nie eine Leiche gesehen, aber das hier war eine. Irrtum ausgeschlossen. Toter als diese Frau konnte man nicht sein. Ihr Mund war weit aufgerissen, und die Lippen hatten sich über die Zähne nach innen gespannt. Um den Hals schloß sich eine eng zugezogene Drahtschlinge, und wo die Haut nicht aufgescheuert war, da war sie wachsbleich.
Als Gerlinsky den Draht mit einer Zange aufschnitt, entwich ein krötiges Geräusch aus der Kehle der Toten. Wie aus dem Jenseits. Mit Atmen hatte das nichts zu tun.
Den Tod dürfe nur der Arzt feststellen, sagte Gerlinsky. Bis dahin müßten wir Wiederbelebungmaßnahmen anwenden.
Mund-zu-Mund-Beatmung? Das konnte keiner von mir verlangen, und das schien auch Gerlinsky nicht vorzuschweben. Er nahm mich zum Wagen mit, setzte einen Funkspruch an die Zentrale ab, reichte den Männern eine Zudecke für die wimmernde junge Frau, holte die Sauerstoffmaske mit der Handpumpe hervor und ging ohne große Eile wieder ins Haus.
Ich sah zu, wie er der Leiche buchstäblich mit Todesverachtung Sauerstoff einzutrichtern versuchte, und dann fiel mir erst auf, daß wir Gesellschaft hatten: In der Küche saß ein alter Mann am Tisch, das Gesicht in den Händen vergraben. Ich sprach ihn an, doch er rührte sich nicht.
Gottlob kam dann endlich der Arzt, gefolgt von zwei Polizisten, denen wir schildern mußten, wo und wie und wann wir die Leiche gefunden hätten. Sie widmeten sich auch dem Alten in der Küche und der verweinten jungen Frau, und aus der Rekonstruktion ergab sich das folgende Bild: Die alte Frau hatte sich im Treppenaufgang erhängt und da noch gehangen, als die junge Frau, die im Obergeschoß als Mieterin wohnte, nachhausegekommen und ohne das Licht anzumachen zur Treppe gegangen war. Im Dunkeln war die Mieterin dann auf die Leiche geprallt, hatte Licht gemacht und war in Panik aus dem Haus gestürzt.
Aber wer hatte das Drahtseil gekappt und die Leiche abgelegt? Der Alte? Und hatte der die Frau vielleicht auch aufgehängt?
Gerlinsky riet mir davon ab, darüber nachzudenken. Dafür würden wir nicht bezahlt, und es käme sowieso nichts dabei raus. »Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen …«
Abgrundtief häßlich hatte diese Oma ausgesehen mit ihrer verzerrten Fratze und der klumpigen Zunge im Hals. Wie ’ne füsilierte Hexe. Und wie gemein, wie niedrig und infam, sich so umzubringen, daß man jemand anderem nachts wie ein fleischgewordenes Gespenst erscheinen mußte! Es gab doch auch ehrenwertere Techniken! Sich ins Bett legen und Gift nehmen!
Wenn es denn kein Mord war.
Mama meinte, daß die Frau wahrscheinlich gar nicht so weit gedacht habe. »Wer so lebensmüde ist, der kalkuliert nicht mehr ein, was er anderen antut, wenn er sich ’n Strick nimmt.«
Lisa konnte schon schwimmen. Jedenfalls waren Renate und Olaf in Bonn mit ihr beim Baby-Schwimmen gewesen und hatten auch Fotos davon. Im zarten Alter von sechs Monaten waren Kinder noch nicht wasserscheu.
Jetzt lag sie im Wohnzimmer auf ’ner Kuscheldecke und tödelte vor sich hin, während wir den Weihnachtsbaum schmückten. Für dieses unschuldige Engelchen bestand die Welt aus Muttermilch und bunten Spielzeugbällen.
Vor der Bescherung gab’s die traditionellen Wiener Würstchen. Mama reichte sie uns aus dem Topf in die Hand und sagte: »Hier habt ihr jeder eins zu Fuß.«
Das dickste von meinen Geschenken war das Reprint
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