Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
doch bestimmt angenehmer für mich, erst am nächsten Tag weiterzutrampen.
Beate und Gabi schliefen oder dösten die meiste Zeit, aber manchmal sah mich Gabi im Rückspiegel freundlich an, und als wir mal Rast machten, fand ich endlich einen Ansatzpunkt für einen gedrängten Überblick über die Höhepunkte meiner Tramptour mit Hermann.
Ab da übernahm wieder Christoph das Steuer. Ich saß hinten neben Gabi und prägte mir alles ein, was sie von sich erzählte. Alter: 17; Leistungskurse: Kunst und Bio; Vater: Steuerberater; Mutter: Hausfrau; Lieblingsmaler: Janosch; Lieblingsmusiker: Gheorghe Zamfir; Lieblingsdichter: Hermann Hesse; Lieblingsfernsehserie: keine; Lieblingstiere: Katzen ( »weil man die nicht zähmen kann«); Berufswunsch: »Irgendwas mit Menschen.«
Zwischendurch aß Gabi getrocknete Datteln. Ich versuchte auch mal eine, aber die schmeckte furchtbar. Wie Gelee aus Holzpantinen.
In Christophs Elternhaus leerten wir zu viert noch eine Flasche Wein. Zum Schlafen gingen Gabi und Beate dann ins obere Stockwerk, und Christoph baute mir im Keller eine Schlafstelle aus drei zusammengeschobenen Kinderbettmatratzen.
Nach dem Frühstück war ich schon so halb am Gehen, als Gabi sagte, daß ich ja mal schreiben könne, ob ich gut angekommen sei, und da ließ ich mir ihre Adresse geben und für alle Fälle auch die Telefonnummer.
Black is the colour of my true love’s hair …
Ob daraus etwas folgen würde? Irgendwann?
Von Wunstorf bis zur Porta Westfalica nahm mich einer mit, der mich seine Schnapspralinen essen und die Illustrierten lesen ließ, die bei ihm im Auto herumflogen. In einem Stern -Interview lästerte der saarländische SPD -Politiker Oskar Lafontaine darüber, daß Helmut Schmidt so viel von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit und Standhaftigkeit spreche.
Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.
Richtig.
Vor meiner Zimmertür lag ein Brief von Oma Jever. Und einer von Julia! Schau an! Erst nach Meppen gesandt und dann umadressiert. Und er war schon fast einen Monat alt! Vom 22. Juni! Fuck!
Lieber Martin! Ich bin gerade in Amsterdam und liege im Zelt herum. Und ich habe Dir einen Brief geschrieben, in dem ich Dir erkläre, warum ich so lange nicht geschrieben habe. Aber dann habe ich ihn vor der Reise vergessen abzuschicken.
Schon verziehen.
Inzwischen habe ich eine Stelle im Ausland bekommen. Im August fahre ich für ein Jahr nach Amerika zu einer Familie, auf ein Baby und ein zweijähriges Kind aufpassen. Ich kriege die Reise und ein Auto von der Familie bezahlt und werde auf die Universität geschickt. Ich freue mich schon sehr darauf, obwohl ein Jahr eine lange Zeit sein kann.
Amsterdam ist eine großartige Stadt mit unwahrscheinlich schönen Häusern und interessanten Leuten. Eben war ich auf einem Flohmarkt und habe mich mit holländischen Lakritzen eingedeckt. Morgen fahren wir an die Küste (wir sind fünf Leute). Das Meer ruft. Im Augenblick regnet es wie doll. Meine Freundin Ina ißt Käsebrote und langweilt sich. Bei solch einem (Scheiß-)Wetter kann man fast nichts anderes machen. Fährst Du auch in Urlaub dieses Jahr? Schreib mir mal, wohin und wann, dann können wir uns vor Amerika nochmal treffen.
Viele Grüße aus dem verregneten Amsterdam – Julia
Also, bei Julia im Zelt hätte ich was besseres zu tun gewußt als mich zu langweilen und Käsebrote zu essen.
In dem Brief von Oma steckten die Fotos, die Papa in Jever aufgenommen hatte. Geschrieben hatte sie den Brief am 4. Juli, also auch schon vor einer Ewigkeit.
Ich habe mich in der herrlichen Ruhe im Sophienstift mit Blick auf den Schloßgarten bestens erholt und werde in einigen Tagen wieder nach Hause entlassen.
Wunderbar. Und ich begrüßte auch Julias Reisevorhaben: In Amerika würde sie merken, daß ihr niemand so oft und so ausführlich schrieb wie ich, und wenn sie wiederkäme, wäre sie bestimmt zu jedem Schabernack bereit.
Ich stopfte meine schmutzigen Anziehsachen in die Waschmaschine, kaufte Bier ein und fuhr zu Heike. Sie habe es schon im Gefühl gehabt, daß ich heute käme, sagte sie und hörte sich geduldig alles an, was Hermann und mir widerfahren war. Dann ging sie zu ihren eigenen, nicht gar so dramatischen Erlebnissen über. Sie hatte jetzt Sommersemesterferien und boste sich trotzdem noch über einen Prof, der irgendwelches Blech über die Frigidität von Lesben geredet hatte.
Davon fing sie sogar noch im Bett wieder an.
Julia schrieb
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