Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
begreiflich zu machen, daß er Perlen vor die Säue werfe, doch er ließ sich nicht bremsen, sondern reagierte sogar noch mit einer Steigerung seiner Redegeschwindigkeit und hampelte dabei herum wie ein epileptischer Fluglotse.
Zwei Stationen vor Venedig stieg er wieder aus. Was der wohl von uns gewollt hatte?
In Venedig trafen wir gegen Mitternacht ein. Vor dem Bahnhofsgebäude hielten sich Massen von Interrailreisenden mit Rotweinflaschen und Wandergitarren auf. Wir baten einen Deutschen, der uns vertrauenswürdig erschien, auf unser Gepäck aufzupassen, und dann besahen wir uns die Stadt.
Fazit: Dunkel war’s, und die Lagunen stanken.
Zum Filzen legten wir uns vor den Bahnhof, mit dem Kopf auf der Reisetasche, so wie hundert andere Schlafsackbesitzer auch. Den Zeltsack nahmen wir zwischen uns.
Geweckt wurde man morgens um sechs von den Bullen mit Fußtritten und einer international verständlichen Aufforderung: »Avanti!«
Klar – den Touristen, die sich bessere Quartiere leisten konnten, sollte unser Anblick erspart werden. Vor diesem Bahnhof war’s uns aber sowieso zu luftig und zu unbequem, und wir verlegten unsere Hauptgeschäftsstelle so rasch wie möglich auf einen normalen, gebührenpflichtigen Zeltplatz mit Toiletten und Duschen.
Das hatte wiederum den Nachteil, daß zwei neben uns zeltende Punker über unsere Musikkonserven meckerten. Das alte Lied: Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Und hier kam zur Bosheit noch Dummheit dazu. Intelligenzquotient 17. Neben Nasebohren und Nörgeln fielen den Punkern keine anderen Beschäftigungen ein.
Doch: Biertrinken. Das machte sie uns aber auch nicht sympathischer.
Aus Venedig mußte man natürlich Karten schreiben. Mama würde staunen. Schon ewig hatte sie mal nach Venedig gewollt, und nun war ich, der alte Stubenhocker, ihr zuvorgekommen. Doch was hätte Mama hier gemacht? Man konnte ja nicht unentwegt die pittoresken Gemäuer anstaunen. Oder den von Tauben beködelten Markusplatz.
Die Gondeln waren zu teuer, aber mit einer Linienbarkasse erlaubten auch wir uns eine Fahrt durch die Lagunen. Wir saßen dabei unter Deck und tranken Cola. Als wir dann die hochberühmte Rialto-Brücke unterquerten, ging Hermann nach oben, um sich die von nahem anzusehen.
Ich blieb sitzen. Extra. Wenn die Italiener wollten, daß ich ihrer Baukunst mehr Respekt entgegenbrachte, hätten sie uns als Tramper nicht so schofel stehenlassen dürfen.
Abends hatten wir Ameisen im Zelt und morgens Mücken. Die schwere Menge! Und die dachten nicht an Schlaf. Die wollten Krieg. Und den bekamen sie! Die Zeltwände sahen hinterher allerdings übel aus.
An einem Strand, zu dem man mit etwas Aufwand gelangen konnte, ging Hermann nur einmal kurz ins Wasser, und er haute gleich wieder ab, während ich meinen Brinkmann weiterlas.
Je mehr ich die Zusammenhänge begreife und sinnlich erlebe, desto radikaler ist mein Rückzug auf mich selber. Zu erwarten ist nichts mehr. – Nur berufsmäßige Hoffnungsprediger heizen mit Makulatursätzen die Leute immer noch an.
In Rom hatte Brinkmann keine Freunde gefunden, aber auch keine gesucht, aus gesundem Stolz auf seine Unabhängigkeit von der gewöhnlichen sozialen Schleimerei …
Ein paar Meter weiter rechts saßen zwei Frauen. Beide oben ohne. Die eine fing meinen Blick auf und rief mir breit lächelnd zu: »We are from Germany! Are you an Italian?«
Die andere ölte sich ihre Brüste ein und lächelte ebenso breit.
»No, I am from Germany, too«, rief ich zurück, bevor mir bewußt wurde, daß ich dann ja auch deutsch hätte sprechen können. »Aus Bielefeld«, schob ich noch nach, doch die Frauen hatten das Interesse an mir verloren. Sie setzten sich Sonnenbrillen auf und lächelten nicht mehr.
Weil ich kein Italiener war? Oder weil ich zuerst auf englisch geantwortet hatte?
Blöde Ziegen!
Als ich zum Zeltplatz kam, studierte Hermann eine Landkarte. Er hatte gerade wieder Streit mit den IQ -Siebzehns gehabt und sehnte sich fort von Venedig. »Morgen machen wir hier die Fliege …«
Von der Prämisse ausgehend, daß wir dort baden könnten, fuhren wir mit dem Zug zum Lago di Como, der auf der Karte einen ordentlichen Eindruck machte, doch die Wirklichkeit sah anders aus: Das Baden war verboten, und es wäre ohnehin nicht möglich gewesen, auch nur eine Zehe in den ringsum zugebauten See zu stecken.
Da wir in Como auch keinen Campingplatz auftreiben konnten, wanderten wir
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