Alle Vögel fliegen hoch
…
Simon war das einzige Kind, das in Wampertskirchen aus dem Schulbus stieg. Er sah mich, riss die Arme hoch in die Luft, schaute sich nach Flipper um, ließ sie sinken – und wusste alles.
»Wo ist Flipper?«, fragte er.
»Weg«, sagte ich.
»Wie, weg?«
»Entführt.«
Simon fing zu zittern an. Er schlotterte förmlich und seine Zähne schlugen aufeinander, obwohl es fast schon Badewetter war. Ich kniete mich vor ihn, und wir umarmten uns. Sehr fest. Sehr lang.
»Da bist du jetzt aber traurig?«
Ich nickte.
»Ich helf’ dir beim Suchen.«
»Simon, du kannst mir mit etwas anderem helfen. Du hast doch das Fernglas von dem Klaus Hase aufgespürt, du Superdetektiv.«
Er presste die Lippen aufeinander.
»Ich finde das überhaupt nicht schlimm, weißt du. Und
bestimmt hast du der Polizei schon gesagt, wann und wo du es gefunden hast.«
Zögernd nickte er.
»Und du hast die Wahrheit gesagt?«
»Ja! Der war schon tot! Ich hab nichts gemacht! Das Fernglas habe ich gar nicht beim Hochsitz gefunden, sondern bei den drei Fichten, wo der Blitz eingeschlagen hat. Ich hab nichts angelangt! Ich hab nur das Fernglas genommen! Und der war so tot wie tot, also kann er auch nirgends herumgeistern, das geht gar nicht!«
»Ja klar. Das weiß doch jedes Baby, dass das nicht geht. Der ist mausetot, nicht bloß tot.«
Simon nickte ernst.
»Was ich jetzt von dir wissen will, Simon, ist: Ob du zufällig noch etwas von Klaus Hase hast. Vielleicht seinen Laptop?«
Simon riss sich los und rannte nach Hause.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis ich entschieden hatte, Felix anzurufen. Ich wollte Simon nicht anschwärzen. Doch Flipper stand mir näher als Simon. Ich würde alles tun, um ihn wiederzubekommen.
»Alles«, sagte ich zu Felix. »Und deshalb bin ich auch zu Simon gefahren.«
»Franza!«, brüllte er. »Du sollst zu Hause bleiben! Du sollst höchstens zu uns ins K3 kommen für die Fingerabdrücke.«
»Tu doch nicht so, als wüsstest du das nicht! Du lässt mich doch bewachen.«
»Wie bitte?«
»Glaubst du, ich bin blöd? Ich habe das silberne Auto sehr wohl bemerkt, das mir nachgefahren ist. Ich habe es abgehängt. Auch das müsste dir bekannt sein – oder habt ihr mehrere Wagen im Einsatz?«
»Ich rufe dich gleich zurück.« Und weg war er. Und rief mich fünf Minuten später an. »Franza, komm sofort zu dir nach Hause. Es ist ein weiteres Kuvert in deinem Kasten. Ich möchte, dass du so tust, als wüsstest du das nicht. Ich möchte, dass du ganz normal fährst. Aber beobachte, ob dir jemand folgt. Von uns ist das kein Wagen. Wir sind das definitiv nicht. Und dann gehst du ganz normal von deinem Parkplatz zum Haus. Dreh dich nicht um, benimm dich wie immer, schaffst du das?«
»Was? Was soll ich? Was bedeutet das?«
»Wir haben dein Haus überwacht. Eigentlich konnte das nicht passieren. Meine Kollegin meint, er ist mit der Firma ins Haus gekommen, die heute saublöderweise eine Küche in den ersten Stock geliefert hat. Wir überprüfen das gerade. Jedenfalls steckt ein Kuvert in deinem Kasten, und da die Briefkästen von den Wohnungen auf der rechten Hofseite aus einzusehen sind, möchte ich kein Risiko eingehen. «
»Ich komme sofort!«, rief ich.
»Fahr vors…«, war das letzte, was ich von ihm hörte. So schnell hatte ich ihn weggedrückt.
Fünfunddreißig Minuten später parkte ich meinen Volvo quer auf dem Gehsteig, das mache ich, wenn ich es sehr eilig habe, das war also normal. Das braune Kuvert ragte zirka fünf Zentimeter aus meinem Briefkasten. Ich nahm es vorsichtig
heraus und öffnete es in meiner Wohnung. Wieder Zeitungsbuchstaben. Ich rief den Kommissar an.
»Ich möchte, dass wir uns sofort treffen.«
»Ich will Flipper nicht in Gefahr bringen! Wenn ich beobachtet werde … Nein!«
»Im Moment sind zwei Kollegen in deiner Nähe. Sie würden einen eventuellen Verfolger bemerken. Insofern wäre das nicht mal schlecht.«
»Vorhin bin ich verfolgt worden.«
»Nicht von uns«, wiederholte Felix. »Bildest du dir das vielleicht ein, Franza? Du bist überreizt. Da sieht man gern mal Gespenster.«
»Es war ein silbernes Auto, vielleicht.«
»Okay, ich geb das weiter. Bleib ganz ruhig, hörst du? Wir haben alles unter Kontrolle.«
»Wieso glaubst du, dass ich dir vertraue, wenn ihr nicht mal einen Briefkasten bewachen könnt? Ich will nicht, dass ihr weitermacht. Ich will das allein durchziehen. Ich will Flipper nicht gefährden!«
»Komm mit dem Fahrrad!«, befahl er
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