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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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Routen, und deshalb bekämpften sie sich.
    »Kümmern Sie sich auch um Vögel?«, fragte ich.
    »Selbstverständlich bin ich für die Vögel in meinem Revier zuständig. Es gibt Habichte, Bussarde, Falken, Raben und vielleicht ein Pärchen Rotmilane. Mein Vorgänger hat hier
sogar mal einen Adler gesehen. Sagt er. Na ja. Vielleicht haben da aber auch die Augen nachgelassen.«
    »Kannten Sie Klaus Hase?«
    »Den tragischen Todesfall? Ja. Also nicht namentlich, aber vom Sehen. Vom Sehen kenne ich hier alle.«
    »War das Ihr Hochsitz?«
    »Nein, der gehört zum angrenzenden Revier.«
    »Fahren Sie einen Geländewagen, dunkelgrün oder grau?«
    »Ja. Wie mein Kollege vom angrenzenden Revier. Seiner ist grau, meiner grün.«
    »Sie sind also die Staubwolke!«, staunte ich.
    »Sind Sie von der Polizei?«
    »Nein, nein, ich bin eine ganz normale Spaziergängerin.«
    »Ach, jetzt weiß ich! Sie sind die Frau mit dem Hund, der ihn gefunden hat?«
    »Ja, die bin ich.«
    »Und der Hund ist weg?«
    Ich nickte.
    Der Jäger fuhr sich über seinen Schnauzer. »Ja, sagen Sie … Meinen Sie, da gibt es einen Zusammenhang?«
    Ich zuckte mit den Schultern und reichte ihm meine Visitenkarte.
    »Ich halte die Augen offen«, versprach er mir.

23
    Simons Mutter war eine kleine, dünne Frau mit kastanienbraunem Pagenkopf, die astreines Hochdeutsch sprach. Ich schätzte sie auf Anfang vierzig, vielleicht war sie jünger, doch sie sah erschöpft aus. Dennoch begrüßte sie mich freundlich, noch ehe sie wusste, wer ich war und was ich wollte. Das beeindruckte mich. Ich selbst bin meistens unhöflich, wenn ein Fremder vor meiner Tür steht. Als ich mich vorgestellt hatte, bat sie mich herein. »Bis vor zwei Tagen waren Sie für mich eins der Phantome von Simon. Da weiß man nie, ob es die Leute gibt oder nicht, ob er sie wirklich kennt oder nicht, und ich denk mir immer, im Grunde ist das egal. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
    Ich lehnte ab. Herzklopfen hatte ich auch ohne Koffein genug. »Ein Glas Wasser nehm’ ich gerne.«
    Es war eng in der Wohnung. Von einem schmalen Flur zweigten drei Türen ab, eine führte in eine winzige Küche. Simons Mutter bat mich, Platz zu nehmen. »Ich muss umrühren, sonst brennt es an.«
    Es roch nach Kartoffelsuppe. So hatte es auch manchmal bei meiner Oma gerochen, wenn ich von der Schule heimgekommen war. Simons Mutter lupfte den Topfdeckel, rührte um und drehte die Temperatur ab. Kein Herd, bloß zwei Kochplatten auf einer Anrichte. Sie reichte mir ein Glas
Wasser und setzte sich mir gegenüber an einen kleinen Campingtisch, dessen braune Plastikplatte von Messern kreuz und quer geritzt war. Wenn ich die Arme ausgestreckt hätte, wäre ich an die Dachschräge gestoßen. Normalerweise habe ich keine Probleme mit engen Räumen, doch das hier war auch für mich klaustrophobisch.
    »Mein Mann schläft im Wohnzimmer. Er hat die ganze Nacht gearbeitet. Deshalb kann ich Ihnen kein Sofa anbieten. «
    »Das passt schon!«
    Simons Mutter lächelte. »Die Frau Fischer! Leibhaftig!«
    »Ich wollte eigentlich zu Simon«, sagte ich.
    »Der kommt um halb zwei mit dem Schulbus.«
    »Sie haben einen ganz tollen Sohn!«, sagte ich.
    »Ja, manchmal ein bisschen zu toll, oder?« Sie seufzte. »Uns hat ja fast der Schlag getroffen, als der Kommissar den Buben am Samstagabend heimgebracht hat. Wir haben gedacht, er schläft! Mein Mann befürchtet jetzt, Simon wäre schon öfter weggelaufen. Ich glaub das nicht. Einsperren bringt gar nichts, das hat mir die Schulpsychologin schon im letzten Jahr gesagt. Wir müssen ihm vertrauen. Eigentlich erzählt er alles. Das Problem ist eher, dass er zu viel erzählt. Man weiß nie, was stimmt, besser gesagt, welche Hälfte oder welches Achtel, Viertel, Sechzehntel.« Sie seufzte. »Man weiß bei Simon einfach nie, woran man ist. Der hört was von Autofahrern, die Kinder auf dem Schulweg vom Rad gestoßen haben, und erzählt, dass ihm genau das passiert ist. Der kriegt mit, dass jemand eine Knieoperation hatte, und schwupps hat sie am nächsten Tag sein Vater oder er selbst. Deshalb habe ich immer gedacht, es gibt Sie
gar nicht. Ich habe schon gewusst, dass eine Frau mit Hund den Nachbarn gefunden hat, die Polizei war ja bei uns, bei allen aus dem Ort, aber ich habe nicht gewusst, dass Simon Sie wirklich kennengelernt hat. Was soll denn auch eine erwachsene Frau«, sie lächelte, »die aussieht wie Superwoman, mit einem Hund, so groß wie ein Pferd, mit meinem Simon zu tun

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