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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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und in seinem runden, gutmütigen Gesicht prangte ein breiter Schnauzer. Er trug eine grüne Hose, Stiefel, eine dünne Schimanskijacke … Und an seiner Schulter baumelte ein Gewehr. Nicht schon wieder!
    »Grüß Gott«, sagte er. »Suchen Sie Ihren Hund?«
    »Ja!«
    »Was ist das denn für einer?«, fragte der Jäger.
    »Der beste«, entfuhr es mir.

    Er lachte. »Ja freilich.« Dann kniff er die Augen zusammen. »So ein großer Schwarzer?«
    »Ja! Ja! Haben Sie ihn gesehen?«
    »Ich hab Sie schon ein paarmal laufen sehen. Mit dem Hund.«
    »Ich habe Sie noch nie gesehen!«
    »Mich sieht man auch nicht so leicht«, schmunzelte er und deutete auf das Fernglas vor seiner Brust.
    Ob dieser Jäger irgendetwas wusste? »Mein Hund ist weg, schon seit vorgestern.«
    »Ich habe ihn nicht gesehen.«
    »Wenn Sie ihn sehen«, ich schluckte, »bitte erschießen Sie ihn nicht. Er …«
    »Ja, holla!«, rief der Jäger. »Wo samma denn da!«
    »Er ist nicht an der Leine!«
    »Hunde müssen nicht angeleint sein, wenn man sie unter Kontrolle hat. Die meisten Leute haben ihre Hunde leider nicht unter Kontrolle, und das gibt Probleme. Aber Ihr Hund, der folgt wirklich, das habe ich gesehen. Sie sind doch die, die den Stock wirft und den Hund dann mitten im Trieb auf halber Strecke in Sitz oder Platz kommandiert?«
    »Ja«, sagte ich stolz. Ja, das konnte er. Es hatte mich viel Mühe gekostet, aber wenn es sein musste, ließ er sich auch im vollen Galopp fallen.
    »Reschpekt! So wenn alle wären! Und wo ist er jetzt, Ihr Hund?«
    »Weg«, schluchzte ich, riss mich zusammen. »Ich weiß nicht, wo er ist. Also habe ich ihn auch nicht unter Kontrolle. Und deshalb wollte ich Sie bitten, dass Sie mich anrufen, wenn Sie ihn sehen. Und nicht erschießen.« Meine Stimme
brach. »Bitte nicht erschießen.« Ich meinte gar nicht den Jäger damit, sondern meinen unbekannten Feind, aber natürlich fühlte sich der Jäger getroffen.
    Abwehrend hob er die Hände. »Moment mal, wer hat Ihnen denn so etwas erzählt? Ohne Grund wird doch kein Hund erschossen. Da muss schon was vorliegen! Wenn ein Hund frei herumläuft, werden zuerst die Leute angesprochen, denen er gehört.«
    »Aber wenn ich doch nicht da bin!«
    »Wo ist er denn weggelaufen, der Hund?«
    »In München.«
    »Und wie soll er dann hierherkommen?«
    »Nur so ein Gefühl«, murmelte ich.
    »Wenn keine Leute da sind, denen der Hund gehört, dann würde ich das melden. Hunde werden nur erschossen, wenn sie jagen. Das Hetzen von Wild ist in Deutschland verboten. «
    Und wenn er Hunger hat , dachte ich.
    »Entschuldigung. Ich glaubte, Jäger würden auf alles schießen«, sagte ich leise.
    »Ja, die Leute denken alles Mögliche über uns. Es kostet mich eine Menge Zeit und Geld und Umsicht, mich um die Viecher hier draußen zu kümmern. Ich mag es nicht, wenn das in den Dreck gezogen wird.«
    »Entschuldigung«, bat ich erneut. »Ich weiß nicht, wie ich auf diese Idee gekommen bin. Wahrscheinlich hat mir das irgendjemand erzählt.«
    Der Mann nickte. »Deshalb ist es so wichtig, dass man mit den Leuten redet! Die wilden Tiere gehören niemandem. Sie brauchen jemand, der sich um sie kümmert. Ich vertrete
ihre Interessen, indem ich einerseits versuche, ihnen einen Lebensraum zu verschaffen, in dem sie ungestört sind – deshalb sollten auch keine Hunde durchs Unterholz stöbern. Aber fast noch mehr Probleme macht derzeit das Stöckelwild.«
    »Wer?«
    »Die Nordic Walker. Aber auch Pilzsucher. Jogger. Mountainbiker. Geocasher. Das Wild hat kaum mehr Raum. Und es gibt so wenige Zeiten, wo es ungestört ist. Durch alle Waldstücke führen Straßen, die Forstarbeiter sind ständig unterwegs. Und jeder will irgendwas. Die einen wollen sich erholen und schreien rum, die anderen suchen Einsamkeit und machen alles platt.
    Alle drei Jahre bekomme ich eine Vorgabe, wie viele Tiere ich schießen soll. Die muss ich erfüllen. Es gibt ja praktisch keine natürlichen Feinde für das Wild – außer Autos. Wir Jäger versuchen, die Natur zu ersetzen. Ich sag das jedem, der mich schief anschaut, und Sie sind kein Einzelfall. Wir sind keine Killer oder Lustmörder, sondern die Anwälte des Wildes. Und überhaupt aller Waldtiere und zwar zu jeder Jahreszeit. Im Winter gehört es zu unseren Pflichten, das Wild zu füttern.«
    Alles, was der Mann sagte, klang aufrichtig. Er sagte das Gleiche wie die anderen, die schlecht über ihn sprachen. Es war wie so oft: Im Grunde wollten alle dasselbe, aber auf anderen

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