Alle Vögel fliegen hoch
gebranntes Wasser. Der Opa bot mir keinen Platz an, er schickte mich aber auch nicht fort.
»A Stamperl?«, fragte er endlich.
»Mein Hund ist weg«, sagte ich.
Er griff hinter sich zum Küchenbuffet, holte ein Schnapsglas heraus, füllte es und schob es mir zu. Ich setzte mich, hob das Glas.
»Prost«, sagte er.
»Prost«, sagte ich und schüttete die Glut in meinen Rachen.
Es war ungefähr hundert Jahre her, seit ich Schnaps getrunken hatte und genauso benahm sich meine Kehle, mein Magen. Der Opa schenkte uns nach.
»Ich bin mit dem Auto da«, versuchte ich mich zu retten.
»Prost«, sagte er.
»Haben Sie meinen Hund gesehen?«
»Eana geht der Hund ab. Mia geht die Sarah ab«, fasste er zusammen. »Und die Sarah geht mia ab, weil ihr die Polly abgeht.«
»Die Polly ist eine Taube?«
»Freilich.«
»Eine teure Taube?«
»Freilich. Fünf bis zehn Euro.« Er lachte. Es klang hohl. »Der Vogel ist noch z’jung. Der muas sich noch bewähren. Aba des interessiert die Kloa ned. Die sucht sich ihre Vegel
selber aus. Und jetzt ist die Polly ihre Nummer eins. Imma kommen ein paar Vegel ned zruck. Aba dass des ausgerechnet die von der Sarah sein müssn. Imma die von dem Deandl. So ein Kind, des hängt sei Herz doch an des Viech. So ein Kind, des verkraftet des ned so leicht. Bsondas, wenn’s a Madl is. Die sand sensibl.«
»Ja«, sagte ich. Meine Backen glühten. Ich war auch ein Madl. Und sensibel.
»Ma derf sei Herz ned an a Viecherl hänga. Da verlierst du imma.«
»Ich hab mein Herz an meinen Hund ghängt.«
»Des ist wurscht. Viech is Viech. Wenn du was mit Viecha machst, muasst du damit rechnen, dass die weg bleim. Imma. Des is bei olle Lebewesen so. Auf oamoi sand’s weg. Und wenn du des vorher ned wissen wuist, nachad trifft’s di später um so schlimma. Des lernt ma, wenn ma älter werd. Für so a Deandl is des ned leicht. Deswegn soit ma sei Herz an nix hänga. An goar nix.«
»Aba Sie haben Ihr Herz doch an was gehängt«, widersprach ich. »An die Sarah.«
»Ja mei«, er zuckte mit den Schultern. »I bin ned perfekt.«
»Perfekt wär, wenn man sein Herz an nix hängen tät?«, vergewisserte ich mich.
»Freilich«, nickte er.
Einen Erleuchteten hatte ich mir anders vorgestellt. Ohne Hosenträger zum Beispiel. Auch die Buddhisten predigen, dass jede Art der Anhaftung zu Leid führt.
»Und wie ist es mit den Tauben?«, fragte ich. »Hängen Sie an denen?«
»Na. Doch. Na. Is hoit vui Arbeit. Du muasst scho drei
bis vier Stundn jeden Dog investiern. Die Schläge saubermachen. Herrichten für die Flüge. Des ist scho Arbeit.«
»Und man kann viel Geld damit machen?«
Der Opa leerte sein Stamperl. »Für mi is des a Hobby.«
»Ich hab im Internet gesehen, dass es Tauben gibt, die werden für fünfstellige Beträge verkauft.«
Der Opa schenkte nach. »Ja mei. Da kennan mia ned mithalten. Des sand die Stars. So schnell sand unsere ned. Für uns is des a Hobby. Mia fliagn a ned so weit. Nach Belgien oder in d’Niederlande fliagn mia, aba koane 1600 Kilometta wia d’Russn.«
»Und von einer Entführung ist Ihnen nix bekannt?«
»Mei Dochta hot mei Enkelin entführt, sonst woaß i nix. Prost!«
Warum ging ich nicht? Was hielt mich bei diesem alten Mann, der den Schnaps wie Wasser in sich hineinschüttete?
»Des Haus, des is scho vamiet. Wenn Sie deswegn do sand! Do geht nix!«
»Transportieren Ihre Brieftauben auch Briefe?«, fragte ich gestelzt, weil ich nicht wusste, wie ich mein Bleiben erklären sollte. Warum nur hatte ich das Gefühl, ganz nah zu sein – und woran?
»Schmarrn. Frühers beim Millitär, ja, ja, da sand die Briafdaum ois Kuriere gnutzt woan. Die ham fahrbare Schläge ghabt. Vegel, die siegst du ned am Radar.«
»Warum fliegen die Tauben überhaupt so weit?«
Der Opa hob das Stamperl. »Zwengs der Liebe«, und kippte es. »Mia im Verein machan Witwenschaft. Mia kanntn a die Kloana von die Großn wegsperren. Aba des machma ned,
dass mia Eltern von eanam Nachwuchs trennen. Vor am Flug trenn ma die Paare. Da gibt’s nix. Koan Sex. Bevor dann des Lastauto kimmt und es auf die Reise nach Belgien geht, derfan sie sich kurz abbusseln. Und dann kemmans auseinanda und ham Sehnsucht. Wenn die dann freilassen wern, wollen’s ganz schnell heim zum Gschpusi.«
»Das heißt, Sie nutzen ein Verhalten von der Taube aus für Ihre Zwecke!« Es war genauso, wie der Waldschrat es mir erklärt hatte. Tierquälerei!
»Sie machan doch des gleiche mit Eanam Hund. Der beschützt Sie,
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