Alle Vögel fliegen hoch
ich ihn.
»Freilich. Ein Brieftaubenzüchter hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für den Fang eines Habichts. Ein Herr Jäger schon eher. Des is des Gesetz.« Er zwinkerte nicht mal, obwohl ich absolut sicher war, dass er log. Tauben-Rudi und sein Gewehr hatten nicht den Anschein erweckt, sie würden als McDonalds für den Habicht herhalten, wenn schon harmlose Hunde und Spaziergängerinnen mit der Waffe bedroht wurden.
»Darf ich Ihre Tauben mal sehen?«
Der Opa zog sich an der Tischkante hoch, ließ sich wieder fallen.
»Heut ist schlecht. Und bald is’ auch finster.«
»Ham Sie Schmerzen?«
»Meine Knia. Die wern nimma. Frisch oberiert und koa Unterschied zu vorher. Da Doktor sagt: Geduld. Aba mit Geduld konn i meine Viecha ned versorgn.«
»Und wer hilft Eana dann?«
»Die Sarah.«
»Und wenn die nimma darf?«
Der Opa fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und goss noch ein Stamperl ein.
»Hängens Eana Herz an nix.«
Nur an Flipper , dachte ich.
Es dämmerte schon, als ich zu meinem Auto ging. Ich tastete nach meinem Handy. Felix hätte sich längst melden sollen. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Wo war das Handy …, im Auto? Wahrscheinlich war es mir aus der Jackentasche gerutscht, als ich mich zum Fenster beugte, um mit Sarahs Mutter zu sprechen. Wenn es hier überhaupt ein Netz gab. Ich musste Felix sofort anrufen. Er glaubte, der Einbrecher in Klaus Hases Haus hätte etwas Kleines gesucht, weil er die ausgestopften Vögel aufgeschlitzt hatte. Aber es ging nicht um den Ort, es ging um die Sache. Die präparierten Vögel waren ausschließlich Greifvögel gewesen. Der Täter musste ein Greifvogelhasser sein. Vogel war nicht gleich Vogel. Das musste Felix berücksichtigen. Somit konnte das, was Flippers Entführer von mir wollte, doch ein Laptop sein. Es musste nichts Kleines sein … Warum war Simon weggerannt, als ich ihn nach dem Laptop gefragt hatte? Warum hatte ich das zugelassen? War das ein Fehler gewesen? Hätte ich Simon härter angehen sollen? Wenn er nun nicht nur das Fernglas, sondern auch den Laptop von Klaus Hase hatte? Felix musste diesen Opa kontrollieren. Sie sollten die Scheunen durchsuchen. Ich war mir absolut sicher, dass Tauben-Rudi Greifvögel hasste, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. Bestimmt gab es viele von seiner Sorte. Felix musste den ganzen Verein vernehmen. Und auch alle Bauern,
die Hühner hielten. Und die Jäger, die immer viel zu gut wegkamen. Und ich musste unbedingt etwas essen. Mir war flau und schummrig zumute.
Ich beschleunigte meine Schritte. Ich war sehr nervös. Das mit dem Handy hätte nicht passieren dürfen. Der Entführer konnte mich angerufen haben. Ich schloss die Beifahrertür auf und ging in die Hocke, um nach dem Handy zu suchen, das bestimmt zwischen die Sitze gerutscht war. Ja, da war es. Fünf Nachrichten auf der Mailbox. Drei SMS. Ich drückte zur ersten. Von Felix. Wir haben einen Zeugen gefunden, der gesehen hat, wie Flipper … Da sah ich die Turnschuhe. Turnschuhe? Das Sehen und mich Wundern war eins. Ich hörte ein Zischen und spürte einen grellen Blitz im Kopf. Etwas Stechendes explodierte in meiner Nase. Dann kippte ich in die Finsternis.
24
Ruckedigu. Ruckedigu. Blut ist im Schuh. Von weit her kamen die Geräusche. Sie erreichten mich als Erstes. Schwappten an Land wie in einem Traum. Dann kam der Schmerz. Und war kein Traum. Mein Kopf mit Nägeln gespickt. Mein Mund ausgedörrt, mein Hals eine Wüste. Alles weh und wund. Jeder Zentimeter meines Körpers. Innen und außen. Ich wollte mich bewegen. Konnte nicht. Verschnürt. Gestank. Kälte. Dunkelheit. Mein Gesicht auf einem harten Bretterboden. Staub. Zugig. Meine Beine straff aneinandergebunden, die Hände auf dem Rücken, die Schultern überdehnt. Viel zu wenig Luft. Nur durch das linke Nasenloch. Nicht genug. Ich versuchte tiefer zu atmen. Herzklopfen. Panik stieg in mir hoch. Ruhig. Ganz ruhig. Ich bin ganz ruhig. Ich atme ruhig. Aus und ein. Ich dachte den Text aus meiner Yogaentspannung wie ein Gebet. Stinkende Klebestreifen verschlossen mir Mund und Augen. Von weit her, so schien mir, hörte ich Schritte … irgendwo unter mir. Wahrscheinlich war ich deshalb aufgewacht. Wo? Was war geschehen? Ich hob den Kopf und ließ ihn gleich wieder sinken. Tausende von Reißnägeln bohrten sich in meine Hirnhaut und ich fiel, fiel noch tiefer in einen weichen wattigen Nebel. Ruckedigu, Ruckedigu.
Minuten?, Stunden?, Tage später wurde mir die Haut
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