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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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vom Gesicht gefetzt. Ich riss den Mund weit auf, japste. Luft, Luft! Endlich wieder Luft! Verletzlich wie nie zuvor in meinem Leben, mit offenem Mund in feindlicher Finsternis.
    »Wo is es?«, flüsterte eine Stimme.
    Ich wollte etwas sagen, unbedingt meinen guten Willen zeigen, doch ich brachte kein Wort heraus, nur ein jämmerliches Krächzen, und irgendwo in meinem Hals platzte eine Wunde auf. Zu Tode erschrocken kreischte ich, als mich der kalte Wasserstrahl traf, öffnete die Lippen weit und verzweifelt, weil ich abhängig war von dem, der mir das antat, und weil ich mich ihm durstig darbot. Verschnürt. Ausgeliefert. Omaseelenallein.
    »Wo is es?«, flüsterte die Stimme erneut. Wieso flüsterte er? Konnte er nicht sprechen? Nein, ich sollte die Stimme nicht erkennen. Immerhin: mein Verstand arbeitete.
    »Was?«, krächzte ich.
    »Handy!«
    »Mein Handy?« Ich überlegte. »Im Auto? Am Auto? Ich habe es in der Hand gehabt, als …«
    »Das andere.«
    Das andere Handy? Welches andere? Ich schluckte und räusperte mich, Staub im Mund und Fussel, und hustete mich frei. »Bitte! Ich weiß nicht, was Sie wollen. Ich habe Ihnen einen Brief geschrieben.«
    »Halt’s Maul!«
    Schritte. Hin und her. Zu mir. Blieben vor meinem Kopf stehen, direkt vor meinem Kopf … Schwere schwarze Stiefel.
    »Ich will den Film.«

    »Bitte, welcher Film?«, stieß ich verzweifelt hervor.
    »Stell dich nicht blöd, Schlampe!«
    Ich entglitt mir. Irgendwo in meinem Inneren brach etwas entzwei. Ein Schluchzen schüttelte mich. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Ich habe den Toten zufällig gefunden. «
    »Ja ja, und kennst ihn wohl auch nicht?«
    Dieses Flüstern. Unheimlich.
    »Nein! Ich kenne ihn nicht. Ich habe überhaupt nichts mit dieser Sache zu tun. Ich weiß nicht, worum es geht. Das ist ein Irrtum! Ein Zufall! Oder eine Verwechslung! Bitte lesen Sie den Brief! Er liegt in meinem Auto in einer Schachtel mit blauem Deckel.«
    »Nein, bist völlig unschuldig. Keine Ahnung, worum es geht, hä? Mein Name ist Hase, hä?«
    »Wo ist mein Hund?«
    »Maul halten!«
    Wieder die Schritte. Auf und ab und nah, viel zu nah an meinem Kopf.
    »Ich geb dir eine halbe Stunde.« Brutal wurde ich an den Haaren gepackt. »Danach schneid ich dem Hund ein Ohr ab. Dann das zweite. Dann den Schwanz. Dann die Pfoten.«
    »Ich weiß doch gar nicht, ob er noch lebt! Flipper!«
    »Kannst dabei zuschauen.«
    Grob wurde ein neuer Klebestreifen auf meinen Mund gedrückt. Ich schnappte nach Luft. Ein erbärmliches Schluchzen packte mich. Meine Nase drohte zu verstopfen. Heulen konnte ich mir nicht erlauben. Außer ich wollte ersticken.
    Schmerzhaft wurde mein Kopf nach oben gerissen. »Brauchst mir nix vormachen. Ich weiß, dass du weißt, worum
es geht. Und dass du den kennst. Warst bei den Widmanns und am Hochsitz. Hast mit Leuten geredet, die dich einen Dreck angehen. Hast dem blöden Bubn nachgestellt. Die Polizei aufgehetzt. Und jetzt noch Rudi. Aber wenn du glaubst, du kannst den Scheißkerl rächen, dann hast dich geschnitten. Kannst dich noch so ranwanzen und bei ihm einziehen wollen. Kannst noch so oft mit deinem Sauköter hier rumlaufen und schnüffeln. Glaubst, das seh ich nicht? Glaubst, ich weiß nicht, was du planst, Dreckschlampe!«
    »Hm hmhm hm«, keuchte ich.
    Ich hörte ihn atmen. Weit oben. Er musste riesig sein. Und schwer. Es machte mich wahnsinnig, dass ich nichts erwidern konnte, dass ich ihm nicht begreiflich machen konnte, dass ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach. Die Schritte entfernten sich. Eine Tür. Eine Treppe. Knarzen. Finsternis. Und Kälte. Um mich Gurren. Flattern. Wo war ich? Bei Opa im Taubenschlag? Wie war ich hierhergekommen? Wieso tat mir alles weh? Was meinte er mit Film, welcher Film? Wenn er mein Handy hatte, wusste er, dass ich den Opa mit dem Gewehr gefilmt hatte und sonst nichts, sonst verdammt noch mal nichts. Außer Flipper beim Schwimmen, beim Buddeln, beim Apportieren.
    Er glaubte, ich würde Klaus Hase kennen. Er glaubte, ich hätte irgendetwas mit der Sache zu tun – mit welcher Sache? Er glaubte, meine Spaziergänge in der Gegend hätten ein Ziel. Was für ein Ziel? Ich kannte ihn nicht. Ich wusste nicht, worum es ihm ging, und es machte mich verrückt, dass er das nicht kapierte. Obwohl ich ganz unten war, ganz tief unten, versetzte es mir einen Stich, dass Felix Recht hatte. Es war gefährlich für mich am Tatort. Wenn ich hier rauskomme ,
dachte ich inbrünstig. Mit Flipper. Dann werde ich

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