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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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glauben, sie würden ihr Leben steuern, irren. Wir alle sind Sklaven unseres Stoffwechsels, verheddern uns in neuronalen Netzen und werden gelenkt von Trieben und Instinkten. Insofern kann es mir egal sein, ob mich meine oder Flippers Absichten steuern. Ich wache morgens auf und freue mich über die guten Ideen, die gar nicht von mir stammen. Gute Ideen sind gute Ideen.
    »Würdest du gerne da draußen wohnen?«, fragte ich Flipper.
    Tock, tock, tock.
    »Aber hier ist es doch auch schön!«
    Tock, tock, tock.
    »Wir haben hier jede Menge Spaß gehabt.«
    Tock, tock, tock.

    »Magst du den See lieber als die Isar?«
    Tock, tock, tock.
    »Ich weiß nicht, wie Hündinnen von Millionären duften – und von denen gibt es dort massenweise.«
    Tock, tock, tock, tock.
    »Na dann, los!«
     
    Eine Dreiviertelstunde später war Simon kein bisschen erstaunt, mich in Wampertskirchen zu sehen. Ich hingegen war verblüfft, als er mir hinter dem Ortsschild entgegengeradelt kam. Er wollte zu einem Freund nach Münsing, der hatte das neuste Need-for-Speed.
    »Was?«
    »Autorennen.«
    »Wie?«
    »Computerspiel!«
    »Nein danke«, lehnte ich ab.
     
    Klar konnte Simon mir noch kurz zeigen, wo Klaus Hase gewohnt hatte.
    »Der Hof an der Ecke mit dem großen Traktor, wo Lamborghini draufsteht, und dem Anhänger hinter der Garage ist es. Und daneben, im Haus dahinter, da wohne ich, ganz oben, das kleine Fenster, das ist mein Zimmer. Früher habe ich ein viel größeres Zimmer gehabt, im ersten Stock.«
    »Wo sind deine Eltern?«
    »Die schlafen.«
    »Jetzt noch?«
    »Meine Ma hat die ganze Nacht gearbeitet, und mein Pa hat sie abgeholt.«

    »Deine Eltern sind ganz schön fleißig.«
    »Aber das wird einem nicht vergolten, wer es wirklich zu was bringen will, der lässt andere für sich schuften«, belehrte mich Simons Vater mit der Stimme seines Sohnes.
     
    Wampertskirchen bestand aus vier Höfen mit einigen Nebengebäuden – Scheunen, Garagen und Ställen – und war fest in der Hand von drei Familien, wie Simon mir erzählte. Die Schlatters – Simons Vermieter –, die Widmanns – Klaus Hases Vermieter –, die Kaindls senior und junior.
    »Wie heißt du mit Familiennamen?«, fragte ich Simon.
    »Brettschneider. Und Flipper?«
    »Fischer.«
    Von dem kleinen Hügel aus, auf den Simon mich geführt hatte, konnte ich den gesamten Weiler überblicken. Die vier Höfe lagen angenehm weit voneinander entfernt. Nur das Haus, in dem Simon nun als Mieter der Schlatters wohnte, und der Hof der Widmanns standen näher beieinander, als hätten sie früher einmal zusammengehört. Ich glaubte, den Starnberger See zwischen den Bäumen hindurchschimmern zu sehen. Vielleicht wünschte ich mir das aber auch nur. Was für eine Gegend! Wie gemalt oder aus einem Tourismusprospekt. Ob Klaus Hase hier auch manchmal gestanden und sich über diesen Ausblick gefreut hatte?
     
    »Und wo genau hat er jetzt gewohnt, der Klaus Hase?«, fragte ich Simon, während ich meinen Blick nicht von dem kleinen Häuschen gegenüber des großen Bauernhauses der Widmanns losreißen konnte. Eigentlich war es gar nicht so klein, aber es sah niedlich aus mit seinen grün gestrichenen
Fensterläden, an denen genauso viel Lack abgeblättert war, dass es heimelig wirkte, und dem lindgrünen Efeu, der sich an der Fassade hochrankte; im Herbst würde er feuerrot brennen. Vor dem Haus blühte ein Apfelbaum in Persilweiß – die Fenster waren alt, klein und mit Sprossen geteilt.
    Simon deutete auf die Immobilie meiner Begierde. »Da hat er gewohnt.«
    »In dem Hexenhäuschen?«
    Er nickte.
    Ob Simon wusste, wie viel Miete dieses Schmuckstück kostete? Doch Simon war weg. »Simon?«, fragte ich. Flipper legte den Kopf schräg. Soll ich ihn holen? , las ich in seinem Blick. »Bleib«, sagte ich. Simon rannte den Hügel hinunter, stürzte, kugelte durchs Gras, sprang wieder auf die Beine und lief weiter mit wild rudernden Armen, als hätte er mich, wie sein im Gras liegendes Fahrrad, schon vergessen im Laufen und Springen. Ich ahnte, warum er es plötzlich so eilig hatte. Ich hätte auf die Idee kommen können, seinen Hund kennenlernen zu wollen.
    Eine plötzliche Lust, jetzt auch den Hügel hinunterzurollen, packte mich, obwohl ich in einem hellblauen Sommerkleid steckte. Ich legte meinen Rucksack ins Gras, ließ Flipper danebensitzen und kugelte los. Es machte nicht halb so viel Spaß, wie ich vermutet hatte, was vor allem an der Wurzel lag, über die meine Wirbelsäule schruppte.

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