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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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Milchproduktion.«
    »Kommt drauf an«, sagte er.
    »In den Pferden liegt die Zukunft«, behauptete sie, und ich merkte deutlich, dass ich mitten in einer kontroversen Diskussion gelandet war, auch wenn sie mit sehr wenigen Wörtern auskam. Wahrscheinlich waren die Argumente hinlänglich bekannt, und man beschränkte sich auf die Andeutung von Überschriften, so ist es häufig bei Paaren; das ist auch ein Grund für mich, warum ich keines werden will.
    »Und Ihre Kinder?«, fragte ich.
    Auf dem Land kann man gewisse Dinge fragen, ohne vorher mit einem Psychologen zu konferieren. Das schätze ich. Während die Frage nach Kindern bei manchen Frauen in einem gewissen Alter in der Stadt hysterische Krisen hervorruft, wurde sie hier pragmatisch beantwortet.
    »Drei«, sagte Frau Widmann.
    Natürlich, drei. Eins wäre riskant, zwei zu wenig bei der Menge an Milch und Eiern, und vier wären zu viel. Drei Kinder – die goldene Mitte.
    »Denen ist es zu ruhig hier«, erfuhr ich, ohne gefragt zu haben. »Die ham andere Pläne.«
    »Sie müssen nämlich studieren. Alle drei«, ergänzte Herr Widmann und machte mit seinem Tonfall deutlich, dass er das für einen Spleen hielt.
    »Bestimmt kommen sie zurück«, behauptete ich.
    »Oder auch nicht«, sagte Herr Widmann.
    »Hier ist nicht viel los, wenn man das braucht, dass was los ist«, verteidigte Frau Widmann ihre Kinder.

    »Ich brauch das nicht«, behauptete ich.
    »Ja, dann«, sagte Herr Widmann.
    »Heutzutage ist man verratzt ohne Studium«, wollte Frau Widmann das letzte Wort behalten. Um einem weiteren Überschriftenduell vorzubeugen, fragte ich schnell: »Ab wann wäre das Haus denn frei?« Eigentlich hatte ich ist sagen wollen. Ab wann ist das Haus denn frei, doch das wäre unhöflich gewesen. In Bayern regiert der Konjunktiv. Man legt sich nicht fest und steckt die Grenzen provisorisch ab. Alles nur ein Spiel. Schaumamoi.
    »Sofort is frei.«
    »Könnte ich es mal anschauen?«
    Wieder tauschten die beiden einen Blick. In Frau Widmanns Augen entzifferte ich Wut und Sorge und Angst. Herr Widmanns Augen wirkten schläfrig. Mit langsamen Schritten und einem vor- und zurückschnellenden Kopf wie ein Körner pickendes Huhn näherte er sich der Eingangstür.
    »Der Schlüssel!«, rief er seiner Frau zu.
    »Kommen’S mit«, sagte sie.
     
    Ich folgte ihr ein paar Schritte Richtung Haupthaus, da rief er: »Is offen!«
    Die beiden grinsten sich an. Er triumphierend, sie ein bisschen kokett. Ich kapierte es erst, als ich die grünen Klebestreifen an der Tür entdeckte. Das Siegel war mir zuvor gar nicht aufgefallen. Herr Widmann war in sein Haus eingebrochen. Er begann mir zu gefallen. Ich würde mir das auch nicht bieten lassen, dass jemand mein Eigentum beschlagnahmt. Flipper schnupperte an einem Blumentopf neben der Tür. Das Schlüsselversteck. Gut zu wissen, aber das hätte ich
wahrscheinlich auch ohne Flipper entdeckt. Hinter Herrn Widmann stieg ich eine knarzende Holztreppe empor. Ich verliebte mich sofort. Besser gesagt: Ich war bereits verliebt.
    »Also unten sind es zwei Zimmer, und oben das Dach habe ich ausgebaut, und unterm Dach habe ich eine Decke eingezogen als Galerie.«
    Ich war fassungslos. Hier roch es wie im Schrebergartenhäuschen meiner Oma. Nach Äpfeln, aufgeheiztem Holz, Sommer und … Glück. Am liebsten wäre ich stehen geblieben und hätte einfach nur geschnuppert. Es roch überhaupt nicht nach Tod, sondern nach Daheim.
    »Do werma«, sagte Herr Widmann am Treppenende.
    Ich erstarrte und presste meine rechte Hand über meinen Mund. Eine völlig idiotische Geste, doch in meinem Alltagsrepertoire gab es keine angemessene Reaktion für das Bild, das sich mir bot.
    In der Küche hatten Berserker gewütet. Schranktüren und Schubladen standen offen. Der Boden war übersät mit Papieren und Besteck. Zwei Palmen waren umgekippt, die Erde hatte sich über ein ausgeleertes Apothekenschränkchen verteilt; dazwischen Kaffeefilter, ein Kondom, Kerzen, Kugelschreiber, Socken, Plastiktüten, eine aufgerissene Packung Lasagne-Platten. Es sah aus, als hätte jemand in einem gigantischen Wutanfall alles auf den Boden gedonnert. Dies war keine Wohnung, dies war ein Schlachtfeld.
    »Oiso, der Vormieter«, Herr Widmann räusperte sich, »der war a bisserl schlampig.«
    Ich war sprachlos.
    »Das muss halt aufgeräumt werden. Aber das müssen nicht Sie machen. Da kommt jemand. Morgen.«

    »Aber der …, der Mieter? Das sind doch seine Sachen?«
    Herr Widmann schaute zum

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