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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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viel allein ist, heißt das nicht, dass er komisch ist«, stellte ich klar.

    »Wann hat Flipper Geburtstag?«, fragte Simon.
    »Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nämlich gefunden, nein, er hat mich gefunden.«
    »Und wo?«
    »Das erzähl ich dir ein andermal«, sagte ich, denn ich hatte absolut keine Lust, mich nun auch noch diesem dunklen Abschnitt meines Lebens zu widmen, als ich voller Wut und Liebeskummer wegen Abgehakt nach Garmisch-Partenkirchen gefahren war, um von dort aus eine Radtour zu starten, bis ich nicht mehr würde denken können, nur noch aus brennenden Oberschenkeln wollte ich bestehen, und kam nicht weit, bei der ersten Pinkelpause hörte ich es fiepen … er wäre verhungert und verdurstet, wenn ich ihn nicht gefunden hätte, besser gesagt, wenn er mich nicht gerufen hätte.
    »Und wie alt ist Flipper?«
    »Drei ungefähr, und du?«
    »Zehn.«
    »Und der Klaus Hase …«
    »Warum fragst du mich immer nach dem?«
    »Weil ich ihn gefunden habe«, versuchte ich zu erklären.
    »Aber das ist doch jetzt egal, wo er tot ist, und er ist wirklich tot, total tot«, erteilte Simon mir eine Lektion über das Hier und Jetzt. Und dann brüllte er los.: »Tot! Echt tot! Das ist so! Tot, tot, tot!«
    Verblüfft starrte ich ihn an. Sein Gesicht war knallrot. Niemals hätte ich dem kleinen Kerl eine solche Stimmgewalt zugetraut.
    »Mir lässt keine Ruhe, woran er gestorben ist«, erwiderte ich ruhig.

    Simons Gesichtsfarbe erinnerte abermals an eine Sauerkirsche. »Das war ein Mörder«, stieß er hervor.
    »Wer?«
    »Der ihn umgebracht hat.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Das hat in der Zeitung gestanden, und die Polizei war auch bei uns. Ich muss jetzt immer um fünf daheim sein.«
    »Und warum war der Klaus Hase komisch?«, blieb ich hartnäckig.
    »Weil er sich nur mit Vögeln befasst hat.«
    Ich sah die Schrift des T-Shirts vor mir: … aber geil …
    »Mein Pa sagt, das war ein total schräger Vogel und dass das den Widmanns recht geschieht. Der hat bestimmt keine Miete nicht bezahlt.«
    »Wie meinst du das, womit hat er sich befasst?«
    »Mit Vögeln.«
    »Also mit Amseln und Spatzen und Finken und so?«
    »Ja. Er war ein Orikologe.«
    Ich lachte laut auf.
    »Die heißen wirklich so!«
    Ich konnte nicht aufhören zu lachen, ich musste immer lauter lachen, und dann lachte Simon einfach mit, und Flipper setzte sich auf eine Pobacke und bellte, und plötzlich erinnerte ich mich an den Gestank, und schlagartig wurde mir schlecht. Ich versuchte, tief zu atmen und schaute nach oben in den blauen Himmel, nur nicht runterschauen, nur nicht zu den Fliegen schauen, die waren längst weitergezogen, aber die Krähen, die waren noch da, Hunderte, mit schräg geneigten Köpfen saßen sie auf den Bäumen und musterten mich aus kalten Augen.

    Auf einmal schraubte sich eine kleine heiße Hand in meine. Am liebsten hätte ich geheult. Also rein theoretisch. Ich habe schon lange nicht mehr geheult. Und ich gedachte nicht, das zu ändern.
    »Ist eine ziemliche Mutprobe, gell?«
    Ich nickte. »Lass uns runtersteigen.«
    »Man sieht gar nichts mehr«, beruhigte mich Simon. »Bloß das«, er kramte in seiner Hosentasche und zog ein Stück rot-weißes Plastikband mit der Aufschrift Polizeiabsperrung hervor, das er mir stolz präsentierte.
    »Man findet da wahrscheinlich noch mehr Sachen, wenn man gründlich sucht.«
    »Hm«, machte Simon und knotete sein Schuhband neu, obwohl es nicht offen gewesen war.
    »Jetzt lass uns mal runtersteigen. Ich bin froh, wenn Flipper wieder sicher auf seinen vier Pfoten steht.«
    »Ich auch.«
    »Warum bist du überhaupt hier raufgeklettert?«, fragte ich ihn.
    Simon bückte sich, nestelte erneut an seinem Schuhband herum und war augenscheinlich in ziemlicher Beklemmung.
    »Na, ich hätte es wahrscheinlich auch gemacht«, sagte ich betont locker. »Von hier oben hast du den besten Überblick. «
    »Du?«, fragte Simon.
    »Ja?«
    »Hast du die geweihten Silberkugeln dabei?«
    »Immer«, log ich.
    »Und die Beretta?«

    »Klar.«
    »Weil die nur mit einer Beretta geschossen helfen.«
    Ich nickte ernst.
    »Weißt du, hier ist nämlich ein Moor«, vertraute Simon mir an. »Überall wo der Matsch ist, darf man nicht reintreten. Sonst versinkt man. Früher sind da ganze Schafe und Kühe verschwunden. Und Menschen vielleicht auch.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
    »Aha«, sagte ich und glaubte ihm nicht. Wenn hier ein Moor wäre, gäbe es auch ein Schild und einen Zaun. Aber natürlich

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