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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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Holz.«

    »Wärmedämmung?«
    »Mach ich im Herbst. Das Material hab ich schon im Schuppen. Auch das Dach deck ich neu. Im Frühling.«
    »Sechshundert«, erwiderte ich.
    »Der See ist ganz nah«, sagte er.
    »Aber nicht richtig.«
    »Man kann ihn sehen.«
    »Aber nicht von hier.«
    »Am Speicher im Haupthaus kann man ihn sehen.«
    »Da würde ich aber nicht wohnen.«
    »Aber man sieht ihn.«
    »Davon kann ich mir nix kaufen.«
    »Und es ist ruhig.«
    »Stille kann sehr laut sein.«
    »Die Luft ist gut.«
    »Warm oder kalt?«, fragte ich.
    »Achthundert kalt«, sagte er.
    »Siebenhundert«, sagte ich.
    »Kalt«, sagte er und streckte mir die Hand hin. Ich war völlig überrumpelt.
    »Woidl!«, seine Frau rief ihn, als hätte sie die Dramatik des Moments gespürt. Sie erlöste mich, nicht ihn.
    »Ja?«, rief er zurück, öffnete ein Fenster und schaute in den Hof.
    »Kann ich noch ein bisserl im Haus bleiben?«, fragte ich. »Ich müsste überlegen, ob meine Sachen passen täten.«
    »Freilich«, nickte er und ging die Treppe hinunter Richtung Tür.
    »Lassens Eana Zeit.«
    »Darf der Flipper rein?«

    »Ja, ja. Dem muss es ja auch gefallen.«
    Ich pfiff Flipper, der mit drei Riesensprüngen die Treppe nahm und fast mit Herrn Widmann zusammenstieß.
    »Sie?«
    Der Ruf hörte sich an, als wäre ich damit gemeint.
    Ich stellte mich ans Fenster. »Ja?«
    »Mei Frau macht an Kaffee.«
    Das bedeutete wahrscheinlich, dass ich eingeladen war. »Super«, rief ich zurück.
    »Zehn Minuten« gönnte mir Frau Widmann, um wieder klar denken zu können.
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie die Wohnung vor dem Einbruch ausgesehen haben mochte. Klaus Hase besaß alte Bauernmöbel, vielleicht gehörten die zum Haus, ich musste mich erkundigen; das Küchenbuffet hätte ich gern übernommen, so eins hatte meine Oma mal gehabt, ganz früher. Einige Bücher über Falknerei lagen herum, unter einem Schrank entdeckte ich die zerbrochene Hülle einer Vogelstimmen-CD. Wenn jemand hier eingebrochen hatte, und das stellte ich nicht in Frage und die Polizei auch nicht, da das Haus versiegelt war, dann war Klaus Hase nicht einfach vom Hochsitz gefallen. Die kleine Hoffnung, dass es nicht so schlimm war, dass ich keinen richtigen Toten, sondern ein Unfallopfer entdeckt hatte, war endgültig geplatzt.
    Im Schlafzimmer lagen Jeans und T-Shirts über den Boden verstreut, die meisten schwarz, grau, dunkelgrün, anthrazitfarben. Schlanke Größe. Neben der Treppe verschiedene Schuhe, wild durcheinandergeworfen, fast alle gassitauglich, schätzungsweise Größe 44. Das Badezimmer war klein und unverwüstet. Ein Tatort von vor drei Wochen
kam mir in den Sinn. Ich klappte den Toilettendeckel zu, stieg drauf und untersuchte den Spülkasten, der, wie häufig in älteren Häusern, unter der Decke angebracht war. Nichts. Wäre auch zu schön gewesen, wenn ich ein Drogenpäckchen oder einen Mikrochip, eine Heckler & Koch oder Sig Sauer oder ein Fleischermesser, ein Foto oder irgendwelche Geheimdokumente für den Kommissar hätte apportieren können. In der Küche bückte ich mich nach ein paar Büchern und legte sie auf den massiven Eichentisch, der aussah, als wäre das Haus um ihn herum gebaut worden. Ich fand mich pingelig und wischte die Bücher mit einer Handbewegung zurück auf den Boden. Flipper schaute mich vorwurfsvoll an und setzte sich mit Blick auf den Ausgang an die Treppe.
    »Gefällt es dir hier denn gar nicht?«, fragte ich.
    Er starrte zur Tür.
    Ich blätterte mechanisch in einem Werbeprospekt, in dem viele Seiten mit gelben Post-its markiert waren. Ein Dackel und ein Fuchs waren auf dem Cover abgebildet und innen drin gab es Blasrohre, Totschlagfallen, Sicherheitsfangbunker, Fangeisen mit dem hübschen Namen »Schwanenhals«, Fangschussgeber für Raubwild, Krähenfallen, Taubenfallen, Wühlmausselbstbeschuss, Kaninchentöter und eine Akku-Knochensäge.
    Nachdenklich schaute ich aus dem Fenster. Mir gefiel es hier. Viel zu gut gefiel es mir hier. Siebenhundert Euronen waren machbar. Von einem Haus auf dem Land hatte ich immer geträumt. Es war ein reizvoller, sehnsüchtiger Traum gewesen, aber ich hatte ihn aus meiner Stadtwohnung heraus geträumt. Viele Träume sind wunderbar, so lange man sie nicht verwirklichen muss.

    Hat Klaus Hase mich als Nachmieterin im Auge gehabt? Hatte meine Oma getrickst? Ich wusste, dass sie auf mich aufpasste. Hatte ich ihn deshalb gefunden, so wie ich Flipper gefunden hatte? Um etwas Gravierendes zu

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