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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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verändern in meinem Leben? Könnte ich hier glücklich werden, mit dem Wissen, dass mein Vormieter gewaltsam gestorben war? Andererseits war er nicht an diesem Ort gestorben. Hier war lediglich eingebrochen worden, und vielleicht hob das die Energie insgesamt an. Vielleicht war ein Einbruch im Feng Shui etwas Positives – Wachstum durch Wandel, Lernen durch Loslassen – , ich sollte Melissa aus Yoga zwei fragen, die kannte sich mit so was aus … Aber wenn die Einbrecher nicht gefunden hatten, wonach sie suchten? Wenn sie zurückkämen? Die Bodendielen aufstemmten und mein Kopfkissen zerfetzten?
    »Frau Fischer! Der Kaffee wär dann fertig.«
     
    Sie hatte im Garten gedeckt, an der Holzwand zur Scheune. Es gab keine karibischen Gartenmöbel, so wie in Münchner Vorgärten, bloß einen Biertisch, an dessen Ende Zaumzeug und eine Reitgerte lagen. Blauweißes Geschirr, Milchkännchen, Tortenheber, Zuckerdose, Sahneschüsselchen Ton-in-Ton. Kaffee und Apfelkuchen dufteten verheißungsvoll.
    »Servieren Sie das jeden Sonntag?«, fragte ich verblüfft.
    Ihr Lächeln verriet mir, dass Service in diesem Haus nicht gewürdigt wurde. Der gehörte einfach dazu wie die Fliegen neben der angeschlagenen weißen Milchschüssel mit den enzianblauen Blümchen, für die Katzen.
    »Den Kuchen am Sonntag können wir in den Mietvertrag schreiben«, zeigte Herr Widmann sich generös. »Welchen essen Sie am liebsten?«

    Aus dem Stall wieherte ein Pferd, die Vögel schmetterten ein Begrüßungskonzert, der Nussbaum über uns blühte mit den Kirschbäumen um die Wette, der eine am Ende seiner Blüte, der andere am Beginn; Tulpen in Rot und Lila, Weiß und Aprikot saugten die wenigen Wölkchen vom strahlend blauen Himmel in ihre weiten Kelche. Die Katze ohne Schwanz putzte kontemplativ ihr schwarzweißes Gesicht.
    »Also es ist nicht so, dass hier gar niemand ist«, begann Frau Widmann, als sie mir ein Stück luftiglockeren Apfelkuchen, fein bestäubt mit Puderzucker, auf den Teller legte. »Die Reiter, die kommen fast jeden Tag. Wir haben drei aus München. Der Rest ist aus Starnberg und Wolfratshausen.«
    »Von mir aus können Sie das Haus haben. Wenn Sie es sich leisten können. Drei Monatsmieten Kaution«, sagte Herr Widmann in einem beiläufigen Tonfall, als frage er seine Frau nach einer Wurzelbürste.
    Ich aß zwei Gabeln Kuchen.
    »Gefällt es Ihnen denn nicht?«, wollte Frau Widmann wissen.
    »O doch«, sagte ich und musste mich überhaupt nicht anstrengen, überzeugend zu wirken. »Es ist ein Traum …«
    »Aber?«
    Auch Frau Widmann gefiel mir immer besser. »Eigentlich gibt es kein Aber. Das einzige Aber ist, dass ich nicht damit gerechnet habe. Ich bin hier spazieren gegangen, und dann ist mir die Idee gekommen, einfach mal nachzufragen, aber ich hätte niemals damit gerechnet, dass Sie was frei haben.«
    »Ja, das muss man erst mal verdauen.«
    »Und dann«, ich räusperte mich, »also, ich weiß nicht, ob ich so schlampig sein kann wie der Vormieter.«

    Frau Widmann starrte mich entgeistert an.
    »Ehrlich gesagt bin ich eher ordentlich, und wenn Sie erwarten, dass es bei mir so aussieht wie bei ihm …, da würde ich mich einfach nicht wohlfühlen, und deshalb sage ich gleich, wie es ist: Ich hab es gern aufgeräumt. Flipper übrigens auch.«
    »Aber bitte! Das macht doch nichts! Ganz im Gegenteil!«, rief Frau Widmann und schaute ihren Mann fast verzweifelt an. Der hob beschwichtigend die Hände.
    »Bei uns kann jeder leben, wie er mag, so lange er keinen anderen stört.«
    Wieso empfand ich den Satz nicht beruhigend, sondern bedrohlich? Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Frau Widmann warf ihrem Mann funkelnde Blicke zu, deren Inhalt ich leider nicht entschlüsseln konnte, vielleicht wollte sie ihn dazu bringen, dass er den Einbruch zugab? Nein, sie schnitt ein zweites Stück Kuchen für mich ab und wechselte das Thema: »Arbeiten Sie in München?«
    Ich setzte gerade an, meine Ordnungsliebe mit weiteren Mieterinnentugenden zu vervollkommnen, meine berufliche Karriere in den solventesten Worten zu schildern, da fuhr ein dunkler BMW auf den Hof. Der Tortenheber balancierte über meinem Teller. Dann fiel der Kuchen. Instabile Seitenlage.
    Herr und Frau Widmann schauten sich erschrocken an, standen abrupt auf. Während Frau Widmann in Richtung BMW rannte, warf Herr Widmann meinen Kuchenteller mit dem neuen Stück und meine Kaffeetasse in den Schutthaufen voller Brennnesseln an der Breitseite der Scheune und

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