Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
hat ihn aus Schonung nicht in den Bericht gesetzt.»
In seinem Antwortbrief an Kestner zeigte sich Kanzler von Müller sehr gut informiert über Augusts Problem, das, wie er meinte, ein Erbe seiner Mutter Christiane Vulpius gewesen sei. Wenn schon der Kanzler von Augusts Trunksucht wusste, konnte sie dem Vater erst recht nicht verborgen geblieben sein. Kein Zweifel: Der alte Goethe hatte seinen Sohn nach Rom geschickt, nachdem Hofrat Vogel ihm eröffnet hatte, dass Augusts Krankheit in ihre letzte Phase eingetreten sei, an deren Ende unweigerlich der Tod stand. Eine dermaßen vergrößerte Leber, eindeutiges Symptom einer Zirrhose, konnte einem erfahrenen Arzt wie Vogel bei einer Untersuchung nicht verborgen geblieben sein. Vogel muss Goethe im Dezember 1829 mitgeteilt haben, dass für August keine Hoffnung mehr bestand. Nach diesem Verdikt beschloss Goethe, die Reise seines Sohns nach Italien zu organisieren. Offenbar war die Aussicht, dass August ihm wie seine Mutter im Haus wegsterben könnte, zu schmerzlich für ihn. Kanzler Müller teilte am 15. November seinem und Goethes Freund Johann Friedrich Rochlitz die traurige Nachricht vom Tod Augusts in Rom wegen seiner Alkoholkrankheit mit und kommentierte sie mit den bezeichnenden Worten: «Segnen aber muß man das Geschick insofern, daß, wenn der Tod hier, unter den Augen des Vaters erfolgt wäre, der Eindruck auf ihn noch hundertmal tragischer und verderblicher gewesen sein würde.»
Wenn August schon dazu verdammt war, wegen seiner Sucht jung zu sterben, dann war es vorzuziehen, dass er nicht zu Hause starb, und kein anderer Ort schien besser für einen guten Tod geeignet als Rom. Davon hatte sich Goethe schon vor vierzig Jahren während seines Aufenthalts in der ewigen Stadt überzeugt. Damals hatte er die Cestius-Pyramide mit dem dabeiliegenden Friedhof für die Nichtkatholiken als den idealen Ort für ein Begräbnis empfunden und ihm als einem poetischen Bild für den Tod auch ein Aquarell gewidmet (Abb. 18). Kurz erwähnt wird die Cestius-Pyramide auch an drei Stellen in der Italienischen Reise. Auf den Friedhof neben der Pyramide, in dem August als Protestant begraben wurde, spielt er mehrmals in Briefen an die Freunde an, in denen von Augusts Tod die Rede ist. An Carl Friedrich Zelter schrieb er am 23. Februar 1831 mit Hinweis auf seine eigene Erfahrung: «Nach wenigen Tagen schlug er den Weg ein, um an der Pyramide des Cestius auszuruhen, an der Stelle, wohin sein Vater, vor seiner Geburt, sich dichterisch zu sehnen geneigt war.» An Justus Christian von Loderer, einen anderen Freund, schrieb er dagegen: «Allein zum Ziele seiner Laufbahn war ihm Rom vorgeschrieben, da es denn für mich kein geringer Trost bleibt, daß er dieses hohe Ziel erreicht und die Würde desselben, wenn auch nur kurze Zeit, empfunden und genossen hat.» In Bezug auf die Gestaltung der Grabstätte seines Sohnes schrieb er sodann am 11. Juni 1831 an Kestner: «Haben Sie die Güte, mir Ihre Gedanken darüber zu eröffnen; da der Vater, wie jene Elegie bezeugt, jenen Weg zu nehmen gewünscht, so ist es doch ganz eigen, daß der Sohn denselben eingeschlagen.» Er spielte damit auf die siebte seiner Römischen Elegien an, in der es heißt:
Abb. 18: Johann Wolfgang von Goethe, Pyramide des Cestius bei Vollmondlicht
«Dulde mich Jupiter hier und Hermes führe mich später
Die Pyramide vorbei leise zum Orcus hinab.»
Nach den von Goethe gegebenen Instruktionen ließ Kestner vom Bildhauer Bertel Thorvaldsen auf Augusts Grabstein folgende Inschrift einmeißeln: GOETHE FILIUS PATRI ANTEVERTENS OBIIT ANNOR. XL MDCCC XXX – Der Sohn von Goethe, seinem Vater vorausgehend, starb vierzigjährig 1830 (Abb. 19). August, der am 25. Dezember 1789 geboren wurde, hatte seinen einundvierzigsten Geburtstag nicht mehr erleben können. Er muss insgeheim geahnt haben, dass sein Vater ihm in Rom ein Treffen mit dem Tod arrangiert hatte, und dies ist wahrscheinlich der Grund, weshalb er seine Ankunft so lange wie möglich herausgeschoben und sich Rom auf einem Zickzackkurs genähert hatte.
Goethe war zwar einige Male bei der Cestius-Pyramide gewesen und hatte von diesem Ort auch zwei Zeichnungen angefertigt, aber er hatte nie einem Begräbnis dort beigewohnt und wusste nicht, wie es sich abspielte. Dagegen nahm sein Freund Karl Philipp Moritz an einem solchen Begräbnis teil und gab davon einen ausführlichen, genauen Bericht in seinen Reisen eines Deutschen in Italien. Im September 1787 war
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