Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
Freundin Maria Petrowna Balabina umschrieb er diese seine Liebe zu Rom genauer. Es war für ihn «das Vaterland meiner Seele (…), wo meine Seele schon vor mir, bevor ich zur Welt kam, wohnte». Im gleichen Brief erzählte er ihr auch, dass er sofort nach seiner Ankunft eine alte Bekanntschaft, nämlich das Kolosseum, aufgesucht habe, das er ihr wie eine Person aus Fleisch und Blut beschreibt, als einen alten Römer, mit dem es sich angenehm plaudern lässt: «Ich bin beim Kolosseum gewesen, und es schien mir, daß es mich wiedererkannte, denn es war seiner Gewohnheit nach majestätisch liebenswürdig und diesmal besonders gesprächig. Ich empfand, wie schöne Gefühle in mir erwachten! Es sprach also zu mir» (Abb. 20).
An Maria Balabina hatte er schon am 15. März 1838 einen Brief geschrieben, und zwar auf Italienisch, in einer Sprache, die Gogol recht gut beherrschte und die auch seiner Freundin nicht unverständlich war, da sie sich im Jahr zuvor länger in Rom aufgehalten hatte. In diesem Brief personifiziert Gogol auch andere Monumente. «Hier ist alles antik, Rom, der Papst, die Kirchen, die Bilder (…), alles befindet sich hier in guter Gesundheit: Sankt Peter, der Pincio-Hügel, das Kolosseum und viele andere Freunde empfehlen sich Euch. Die Piazza Barberini macht eine tiefe Verbeugung vor Ihnen. Die Arme! Sie ist jetzt ganz allein; allein sind die Tritonen, welche moosbedeckt und ohne Nase dennoch wie üblich das Wasser nach oben sprühen, weinend über die Zurückhaltung der schönen Dame aus dem Norden, die oft vom Fenster aus ihr Murmeln hörte und es für den Regen hielt. Die Ziegen und die Bildhauer spazieren, Signora, über die Strada Felice, wo ich meine Wohnung habe.» Hier treibt Gogol eines seiner beliebten Wortspiele, das bezeichnenderweise um die Nase kreist, Titel seiner zwei Jahre zuvor, 1836, erschienenen Erzählung: «So kommt Euch vielleicht meine Nase vor, lang und wie die der Vögel (o süße Hoffnung). Aber lassen wir die Nasen sein, das ist ein heikles Thema, und wenn es sich um solche handelt, muß man leicht mit einer langen Nase abziehen.» Obwohl Gogols Italienisch nicht ganz makellos ist, erkennt man doch die unverwechselbare Komik des Dichters. Sodann kommt er noch einmal auf das Kolosseum zu sprechen, das Denkmal, das er am meisten liebte und das mehr als alle anderen die ewige Stadt mit ihren jahrtausendealten Altertümern repräsentierte. Im Zwiegespräch zwischen dem Dichter und dem Kolosseum, das sich von der Abreise seiner alten russischen Freundin verraten fühlt, manifestiert sich Gogols Kunst, mit wenigen Worten ein eindringliches Bild zu entwerfen: «Das Kolosseum ist sehr mit Eurer Wohlgeboren erzürnt. Deshalb gehe ich nicht zu ihm, weil es mich immer fragt: ‹Sagt mir doch, mein lieber kleiner Mann (so nennt es mich immer), was macht meine Frau, die Signora Maria? Sie hat auf dem Altar geschworen, mich zu lieben, und trotzdem schweigt sie und will mich nicht kennen, was soll das heißen?› Und ich antworte: ‹Ihr seid zu alt, Herr Kolosseum!› Und wenn er diese Worte hört, zieht er die Brauen zusammen und seine Stirn wird mürrisch und streng und seine Risse, jene Altersfalten, erscheinen mir dann finster und bedrohlich, so daß ich mich ängstige und erschreckt zurückziehe.»
Abb. 20: Giovanni Battista Piranesi, Gesamtansicht des Kolosseums aus der Vogelperspektive, Kupferstich (um 1773–1778)
Seinen Scharfblick als aufmerksamer und neugieriger Beobachter des römischen Lebens beweist er auch in einem Brief an einen russischen Freund vom 15. Oktober 1838, in dem er sich einen Spaß daraus macht, die Tracht des Welt- und des Ordensklerus zu beschreiben. Ganze Salven von ironischen Bemerkungen ergießen sich über die Kleidung von Mönchen und Priestern: Die Dominikaner sind wie alte Weiblein gekleidet, sie hüllen sich in schwarze Mäntel und lassen darunter ein weißes Kleid hervorscheinen. Sogar der Papst gleicht einer Alten: «Sähet Ihr sein Antlitz auf einem Bild, so verwechseltet Ihr es mit dem einer Frau.» Wie Goethe zeichnete auch Gogol in Rom, weshalb ihn besonders das Aussehen der Leute, denen er auf der Straße begegnete, beschäftigte. Er warf seinen Blick auf reale Menschen wie jenen Jungen zum Beispiel, der nur mit Lumpen bekleidet war. Gogol beschreibt ihn in einem Brief vom Februar 1839 mit der üblichen Akkuratesse, nicht ohne ein paar feine scherzhafte Bemerkungen einfließen zu lassen. Der Junge trug sehr merkwürdige Hosen, die
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